Miniaturwelt im Kino: Wunderland als Filmerlebnis

Modelleisenbahn bildet die Kulisse

Ein Kommentar von Peter Pernsteiner

Plakat des Kinofilms Wunderland

In den letzten Jahren ist das Miniatur Wunderland in der Hamburger Speicherstadt immer mehr zu einem attraktiven Reiseziel geworden - nicht nur für ambitionierte Modellbahner und Modellbaufans sondern vor allem für unzählige Familien. Seit 7. März 2024 ist diese phantastische Welt im Maßstab 1:87 gigantisch groß auf vielen Breitbild-Kinoleinwänden in ganz Deutschland zu erleben. Eine englischsprachige Version des Films ist noch in Vorbereitung. Für 89 Minuten geht „Wunderland – vom Kindheitstraum zum Welterfolg“ mit den Zuschauern auf eine berührende Reise in die Vergangenheit und Gegenwart der Zwillinge Frederik und Gerrit Braun. Sie haben ihren Traum gemeinsam mit zahlreichen Enthusiasten in die Tat umgesetzt und entwickeln ihn kontinuierlich weiter.

Impressionen, Animationen, Rückblicke

Der Kinofilm im Cinemascope-Format zeigt eine tolle Abwechslung aus phantastischen Modellwelt-Kamerafahrten, interessanten Kurzinterviews und kleinen Reportagen sowie reizvollen Rückblicken in die jungen Jahre der Zwillinge. Die oftmals überraschenden Einblicke in die Miniaturwelt sind dank voluminösem 5.1-Kinosound auch ein Musikerlebnis. Sie entstanden unter Regie von Sabine Howe, die zudem beim Drehbuch mitwirkte und bereits weit über 100 Dokumentarfilme und Reportagen fürs Fernsehen realisierte.

Gerrit und Frederik Braun wurden im Film in viele Ansichten des Miniatur Wunderlands als sich bewegende 1:87-Figuren hinein animiert. Foto: © B14 FILM, TOBIS

Im Film sind Frederik und Gerrit nicht nur dokumentarisch zu sehen und zu hören, sondern auch als liebevoll animierte Miniaturfiguren unterwegs. Sie wandern in der Natur, gehen durch Straßenschluchten oder laufen am Sandstrand entlang. Mitten auf dem Spielfeld des gewaltigen nachgebauten HSV-Fußballstations kicken sie ein wenig und einer schießt sogar ein Tor. Ein anderes mal fahren sie mit dem Kinder-Tretroller durch die Hamburger Speicherstadt oder stehen und sitzen auf der Bremserbühne eines 1:87-Schüttgutwagens, der in einem langen Zug durch die Miniwelt rollt.

Reizvoll sind auch alte Filmsequenzen aus der frühen Kindheit der Zwillinge. In ihnen ist dokumentiert, dass sie nach Schulschluss sehr gerne mit viel Fantasie spielten, aber nie über längere Zeit mit dem gleichen Spielzeug. Sie sind im Kinderzimmer mit Legosteinen, Spielzeugautos und einer Holzeisenbahn ebenso zu sehen, wie im Freien mit einem Bobbycar und mit einem lebenden Huhn auf einem Draufsitz-Trettraktor. Von beiden kommt auch das Geständnis, dass sie leidenschaftlich gerne Zug- und Autounfälle nachgebaut und nachgespielt haben und regelrechte Feuerwehr-Fans waren. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum im Wunderland regelmäßig fantastisch inszenierte Carsystem-Feuerwehr-Großeinsätze stattfinden.

WUNDERLAND: Das Wunderland kommt ins Kino - Offizieller Trailer

Schwere Kindheit und eigene Diskothek

Im Wunderland gibt es viel zu entdecken, aber auch der Staubpinsel muss oft zu Diensten stehen. Foto: © B14 FILM, TOBIS

Nachdenklich wird die Stimmung, als Frederik und Gerrit über ihre eigentlich sehr schwere Kindheit berichten. Der Vater verließ damals die noch junge Familie und die Mutter hatte dann als Alleinerziehende viel zu wenig Zeit für ihre Kinder. Zudem sind die Großeltern sehr früh verstorben und in der Zeit als junge Erwachsene auch die Mutter. Allerdings kommt Jochen W. Braun diesbezüglich im Film zu Wort und beteuert, dass er es bereut, sich damals nicht ausreichend um seine Kinder gekümmert zu haben. Der Vater beschreibt seine Zwillinge auch als extrem unterschiedlich: „Gerrit ist ein 1er-Schüler gewesen – die ganze Zeit durch, soweit ich mich erinnern kann. Auf jeden Fall hat er ein 1er-Abitur. Und Frederik schleppte sich immer so mühsam von einem Jahr zum andern. Der hatte andere Dinge im Kopf.“

Frederik beschreibt seinen Bruder als „Realist“ und sich selbst als „mehr so ein bisschen Träumer manchmal“. Deshalb war für ihn klar, dass Gerrit quasi der Controller des Machbaren ist. Sie vertrauen immer noch voll und ganz aufeinander und sehen sich als „wahrscheinlich die unzertrennlichsten Zwillinge Deutschlands. Diese Mischung könnte der Grund dafür sein, dass das Wunderland heute so erfolgreich ist. Die Basis dafür setzten sie eigentlich bereits im Jahr 1990, als Frederik noch während seiner kaufmännischen Ausbildung gemeinsam mit Gerrit und Stephan Hertz die Diskothek Voilà in Hamburg kauften. Toll, dass aus dieser Zeit im Film auch ein wenig zu sehen ist. Nach zehn Jahren wollten sie aber etwas ganz anderes machen und ihrer kindlichen Fantasie freien Lauf geben. Dank des Modellbahn-Interesses von Stephan Hertz kam es wie es kommen musste. Die Drei gründeten gemeinsam mit dem Vater der Zwillinge im Jahr 2000 das Unternehmen „Miniatur Wunderland“ und verkauften bald danach die Diskothek.

Von der Realität zur Fantasie

Natürlich sind im Film auch so manche Schienenfahrzeuge zu sehen. Foto: © B14 FILM, TOBIS

Im Film erzählt Frederik, dass er sich damals einige Eisenbahnanlagen quer durch Deutschland angeschaut hat und fürs Wunderland unbedingt auch ein kreativer Modellbahn-Anlagenbauer erforderlich war. Zum Glück trafen sie auf den Modellbauer Gerhard Dauscher, der ebenfalls vom Projekt begeistert war und gemeinsam mit einem Team etwas ganz Großes erschaffen wollte. Gerrit betont, dass sie damals „etwas perfekt nachstellen wollen so wie es wirklich ist.“ Sie wollten aber „eine Modell-Landschaft und keine Modelleisenbahn. Es war uns ganz klar, dass die Modelleisenbahn eigentlich nur Kulisse ist, damit auf eine sehr schöne für uns auch sehr spannende und interessante Weise da Bewegung reinkommt. Aber eigentlich bauen wir eine Modellwelt.“

Hierzu mussten zahlreiche leidenschaftliche Modellbauer gefunden werden. Faszinierend sind alte Filmaufnahmen von der damaligen Mitarbeiter-Suche in Form eines Casting-Workshops. Zu sehen ist, wie die Bewerber in den Räumen der Diskothek Voilà auf Bierzelttischen Module bauten und gestalteten. Für die Auswahl der Mitarbeiter war Gerhard Dauscher die Berufsqualifikation nur eine Nebensache, denn sie suchten kreative Mitarbeiter, die bereit sind, fantasievoll das Leben darzustellen. Für den Realisten Gerrit war die daraus erwachsene „Abkehr von der Realität hin zur Fantasie“ zunächst erst mal gewöhnungsbedürftig.

Auch Pinocchios Nase fährt im Wunderland elektrisch angetrieben sehr weit aus. Foto: © B14 FILM, TOBIS

Frederik freut sich sehr, dass damals schnell die Entscheidung gefallen ist, Geschichten auf der Anlage zu erzählen. Deshalb ist es fast schon selbstverständlich, dass auch mal eine Wasserleiche vorkommen muss oder ein Liebespärchen in Venedig ein ganzes altes Haus zum Beben bringt. Nett ist auch, dass verschiedenste bekannte Fantasiefiguren aus dem Wunderland im Film zu sehen sind … von Commander Spock aus Raumschiff Enterprise und Lucky Luke über Pinocchio und Pippi Langstrumpf bis hin zu Superman. Auch vom Carsystem für autonom fahrende Autos sind Aufnahmen aus der frühen Bauzeit zu sehen. Gerrit betont, dass ihnen sehr schnell klar war, dass die Fahrzeuge viel mehr können müssen, als damals technisch möglich war. Hierzu entwickelten sie die Idee, mit Hilfe von Magnetfeldern unter der Fahrbahn den Fahrzeugen wie bei einem Morsecode Informationen für Beleuchtung, Geschwindigkeit und vieles mehr zu übermitteln.

„Wir leben in unserem Wunderland sehr glücklich“, beteuert Frederik und auch seinem Bruder sieht man in zahlreichen Filmsequenzen an, dass er für diese kleine Welt voll und ganz brennt. Es wird berichtet, dass sie in den vielen Jahren so manche noch so verlockende Übernahmeangebote oder Auftragsanfragen für fürstlich bezahlte Anlagenplanungen gerne ausschlugen. Dennoch blieben sie stets in engem Kontakt mit anderen Modellbahnanlagen-Betreibern.

Kooperation mit Modellbauer-Familie in Argentinien

Eine ganz große Rolle spielt im Kinofilm der 46 m² große Bauabschnitt Rio de Janeiro. Dabei wird von Anfang an berichtet, wie es zu dieser ungewöhnlichen Kooperation mit dem Modellbauer-Familienbetrieb Martinez in Argentinien gekommen ist. Sie hatten zuvor für die Modellbahn-Anlage „Gulliver‘s Gate“ in New York den sehr lebendig gestalteten Bereich Südamerika gebaut. Gerrit und Frederik kamen mit der Familie erstmals bei der Eröffnung dieser Anlage in Kontakt und waren schnell überzeugt, dass mit der Aura dieses Familienbetriebs Rio im Wunderland richtig toll werden könnte.

Gerrit Braun (links) und sein Zwillingsbruder Frederik studieren hier im Film gerade das Geschehen auf einigen der vielen Computer-Kontrollmonitore. Foto: © B14 FILM, TOBIS

Im Film wird allerdings eindrucksvoll gezeigt, dass der Weg dorthin alles andere als leicht war. Der für den Anlagenbau Hauptverantwortliche Gerhard Dauscher war anfangs sehr skeptisch und fürchtete Konkurrenz für die kreativen Mitarbeiter in Hamburg. Mit so manchen netten Episoden ist dann zu sehen, wie toll sich die Ozean-überschreitende Kooperation entwickelte. So gibt es gemeinsame Musik-Sessions und Volleyball-Spiele in der Freizeit während der Besuche zur Anlagen-Detailplanung in Argentinien. Allerdings musste der Familienbetrieb erst noch lernen, dass die Anforderungen aus Hamburg in Sachen Betriebssicherheit sehr hoch waren. Vor allem, weil das Wunderland oftmals bis zu 14 Stunden am Tag geöffnet hat. Im Film ist schließlich auch sehr rührend zu sehen, wie die ganze Familie Martinez in Hamburg das Wunderland zur Eröffnung des Bauabschnitts besucht und sich gemeinsam mit den Zwillingen über das toll inszenierte Rio de Janeiro freut. Es befindet sich direkt am Ende der 25 Meter langen Fußgängerbrücke, die in 16 Metern Höhe über dem Kehrwiederfleet die beiden vom Wunderland genutzten Speicherstadt-Gebäude verbindet.

Herausforderung Formel 1 und nächste Bauabschnitte

Natürlich ließe sich noch viel über diesen wunderschönen Kinofilm berichten, denn in ihm kommen auch Mitarbeiter zu Wort und es gibt so manche faszinierende Blicke hinter die Kulissen, von denen jetzt nur kurz der Bau der Formel 1 Rennstrecke von Monaco als Beispiel genannt wird. Dieses Projekt war wohl bislang die größte technologische Herausforderung für Gerrit Braun, der nach wie vor auch aktiv im Wunderland mitentwickelt und programmiert. Die Formel 1-Rennstrecke basiert auf winzigen elektronisch einzeln ansteuerbaren Magnetfeldern unter der Straße. Durch eine langjährig ausgeklügelte sehr komplexe Computersteuerung bewegen sich die passiven Rennwagenmodelle erstaunlich realistisch. So werden im Film exemplarisch entstandene Probleme der exakten Fahrzeugansteuerung angedeutet und es ist auch eine recht witzige Episode zu sehen: auf der Rennstrecke fährt tatsächlich mal statt einem Rennwagen eine der typischen hellblauen mobilen Toilettenkabinen herum.

In Gerrits Tagebuch Ausgabe #93 gibt es auf YouTube einen aktuellen Einblick in die neue Formel 1 Welt im Maßstab 1:87

Für 25. April 2024 ist die von vielen Fans sehnlichst erwartete feierliche Eröffnung des Bauabschnitts Monaco & Provence mit 63 m² Modellfläche terminiert. Im Mittelpunkt steht dann natürlich die Inszenierung der berühmten Formel 1-Stadtkurs-Rennstrecke „Circuit de Monaco“. 2025 sollen dann der Regenwald mit 107 m² und die Karibik mit 67 m² folgen. Und für Ende 2026 ist der erste Teil der Modellwelt Asien avisiert.

Erfolgsgeheimnisse

Im Kinofilm gibt es die Miniaturwelt im Maßstab 1:87 aus faszinierenden Perspektiven. Foto: © B14 FILM, TOBIS

Das Miniatur Wunderland wird hoffentlich nie fertig, denn nur so können Besucher ein paar Jahre später wieder Neues entdecken und erleben. Seit der Eröffnung im August 2001 ist unglaublich viel passiert. Damals bestand die Anlage aus den drei Bauabschnitten Mitteldeutschland, Österreich und der Fantasie-Stadt Knuffingen. Inzwischen „leben“ allein in Knuffingen rund 10.000 Minifiguren und in Summe zählt das Miniatur Wunderland laut der aktuellen Presseinformation zum Kinofilm 289.410 Einwohner. Die größte Modellbahnanlage der Welt belegt derzeit 1610 m² Fläche des 10.000 m² großen Firmenareals in der Hamburger Speicherstadt. Auf 16.491 Metern Gleislänge sind 1.166 Züge im Einsatz. Hinzu kommen viele selbstfahrende Autos, 30.000 Liter echtes Wasser mit einigen richtig schwimmenden Schiffen und ein 150 m² großer Flughafen mit 52 Flugzeugen, die sehr realistisch abheben und landen. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass Hamburgs Touristenattraktion Nummer 1 inzwischen pro Jahr rund 1,5 Millionen Besuchende zählt.

Ein weiteres kleines Erfolgsgeheimnis verrät schließlich noch Sebastian Drechsler im Kinofilm. Der 14 Jahre jüngere Halbbruder von Frederik und Gerrit Braun ist seit 2006 Pressesprecher und quasi der Wunderland-“Außenminister“. Er propagiert, dass der Erfolg des Wunderlandes das Irrationale und die Ineffizienz sind und „dass wir so erfolgreich sind, weil wir eben nicht so sind, wie ein austauschbarer anderer Wirschaftskomplex.“ Zudem bekräftigte er schon sehr früh, dass das Unternehmen mit heute mehr als 300 Mitarbeitern bei seiner Anlagenplanung im Prinzip unwirtschaftlich denken muss, dann aber am Ende doch wirtschaftlich ist.

YouTube-Kanal von Peter Pernsteiner: Fliegende Tauben in H0 1:87 im Miniatur Wunderland - Interview und Blick in Technik-Werkstatt

Miniatur Wunderland

Die größte Modelleisenbahn der Welt ist in Hamburg ein Besuchermagnet.

  • Idee: Frederik and Gerrit Braun
  • Besucher: pro Jahr: 1,5 Millionen
  • Adresse: Miniatur Wunderland Hamburg, Kehrwieder 2, 20457 Hamburg – Speicherstadt
  • Eröffnung: 16. August 2001
  • Gleisstrecke: 16,138 m verbaute Schienen in H0
  • Mehr Fakten: Miniatur Wunderland auf Wikipedia
  • Webseite: Miniatur Wunderland

Über den Autor Peter Pernsteiner:

Peter Pernsteiner, Dipl.-Ing. (Univ.) und Freier Journalist, entdeckte mitten im Elektrotechnik Studium seine Liebe zum Technik-Journalismus und landete bald danach in der Redaktion einer großen ITK-Fachzeitschrift. Seit 1994 schreibt er als Freier Journalist insbesondere über Technik-Themen – unter anderem für Magazine im Bereich Modelleisenbahn. 2016 startete er zudem einen YouTube-Kanal für Technikreportagen, der inzwischen weltweit Beachtung findet.

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