Tarifbindung: HDE spricht sich für Schaffung von Gestaltungsspielräumen aus
Wie aktuelle Jahreszahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigen, waren im Jahr 2023 23 Prozent der Einzelhandelsbeschäftigten bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber mit Branchen- oder Haustarifvertrag angestellt. Im Vorjahresvergleich ist der Wert damit um drei Prozent gesunken.
In der Gesamtwirtschaft waren im Jahr 2023 laut IAB-Erhebung noch 50 Prozent der Beschäftigten in einem tarifgebundenen Unternehmen tätig, im Vorjahr waren es 51 Prozent. Die Tarifbindung ist branchenübergreifend weiter leicht rückläufig. Die rückläufige unmittelbare Tarifbindung der Beschäftigten im Einzelhandel lässt allerdings nicht den Schluss zu, dass die Branchentarifverträge nur noch für eine Minderheit der Beschäftigungsverhältnisse Anwendung finden, wie der Handelsverband Deutschland (HDE) klarstellt.
Verringerter Gestaltungsspielraum für Tarifvertragsparteien
„Die Anzahl der Einzelhandelsunternehmen, die sich auf rein vertraglicher Basis bei der Vergütung ihrer Beschäftigten an den Flächentarifverträgen orientieren, ist im Vorjahresvergleich nochmals angewachsen. Auf diese Weise gelten die Branchen- und Haustarifverträge tatsächlich aktuell sogar für mehr als zwei Drittel aller Beschäftigungsverhältnisse im Einzelhandel“, so Steven Haarke, HDE-Geschäftsführer für Arbeit und Soziales. Ursache für die rückläufige Tarifbindung sei vor allem der verringerte Gestaltungsspielraum für Tarifvertragsparteien aufgrund einer immer weiter zunehmenden gesetzlichen Regulierung. Dies gelte vor allem für die rein politische motivierte, sprunghafte Mindestlohnanhebung auf zwölf Euro im Jahr 2022, die gänzlich ohne Beteiligung der unabhängigen Mindestlohnkommission durchgesetzt wurde. „Das war Gift für die Tarifbindung. Ein solches Vorgehen darf sich anlässlich der nächsten Bundestagwahl keinesfalls wiederholen“, so Haarke weiter.
HDE plädiert für Modularität von Tarifverträgen
Der HDE hat bereits in der Vergangenheit konstruktive Vorschläge zur Steigerung der Tarifbindung gemacht. Wichtig sind aus Sicht des Verbandes vor allem zusätzliche Öffnungsklauseln in bestehenden Gesetzen, die neue Gestaltungsspielräume eröffnen, um die Passgenauigkeit und Attraktivität von Tarifverträgen wieder zu steigern. Sinnvoll wäre auch die Modularität von Tarifverträgen, bei der sich nicht tarifgebundene Arbeitgeber für einzelne Module, beispielsweise Entgelt, aus einem Tarifwerk entscheiden dürfen. Eine Lockerung der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen lehnt der HDE mit Blick auf die verfassungsrechtlich garantierte negative Koalitionsfreiheit in Artikel 9, Absatz 3 des Grundgesetzes strikt ab.
Kein Tarifzwang durch die Hintertür
Die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Tarifvertragsbindung zu koppeln, sieht der HDE ebenfalls sehr kritisch. „Dabei handelt es sich um Tarifzwang durch die Hintertür“, so Haarke. Zudem seien Umstrukturierungen als Reaktion auf dringende Marktentwicklungen noch dazu in Zeiten des digitalen Wandels rechtmäßig und auch vollkommen legitim, um die Wettbewerbsfähigkeit in Einzelfällen für Unternehmen zu sichern und damit letztlich auch Beschäftigung zu erhalten.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hatte unlängst ein „Bundestariftreuegesetz“ angekündigt, welches noch vor der Sommerpause im Kabinett beschlossen werden könnte. Darin sollen unter anderem öffentliche Aufträge des Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden werden, zudem soll gesellschaftsrechtliche Umstrukturierung stärker reglementiert werden.