25 Jahre süchtig nach Spielwarenmesse
Was die Spielwarenmesse für Steve Reece bedeutet
Ein Kommentar von Steve Reece
Die Spielwarenmesse 2024 markiert für mich persönlich einen besonderen Meilenstein, denn ich war vor 25 Jahren zum ersten Mal hier. Und wenn man mich damals, als ich noch ein junger Mann war, gefragt hätte, ob ich auch noch ein Vierteljahrhundert später mit von der Partie sein würde, hätte ich wahrscheinlich gesagt „Das hoffe ich doch sehr!“.
Damals war ich als Junior Research Associate für die Europa-Zentrale eines großen Spielwarenherstellers tätig und sollte Markt- und Verbraucherdaten für die Abteilungen Markenführung und Produktmanagement liefern. Ich war erst seit ein paar Wochen im Job, und dann ging es gleich auf die Spielwarenmesse. Meine Aufgabe bestand darin, mir einen Marktüberblick zu verschaffen und herauszufinden, wie sich die Märkte in den einzelnen Ländern voneinander unterscheiden. Also rannte ich mithilfe einer Liste von Unternehmen aus verschiedenen Ländern, die mir mein Chef mitgegeben hatte, in einem Affentempo durch die Hallen. Anderseits war auch ein Teil meiner Zeit dafür reserviert, am Stand unseres Unternehmens wichtige Geschäftspartner und Kollegen kennenzulernen, mit denen ich in Zukunft in Europa zu tun haben würde.
Spielwarenmesse: Der erste Eindruck
Mein erster Eindruck von der Spielwarenmesse war in erster Linie Staunen aufgrund der schieren Größe der Veranstaltung. Damals gab es eine ganze Halle nur mit Weihnachtsschmuck und ich weiß noch heute, wie ich dort 20 Minuten herumlief und mich fragte, wie um alles in der Welt man einen Lamettaproduzenten von den 30 anderen unterscheiden soll, weil alle anscheinend dasselbe Produkt im Angebot hatten… Eine der größten Herausforderungen der Spielwarenmesse für Besucher ist zum einen ihre Größe, zum anderen aber auch die Anzahl der ausgestellten Waren und die unendlich vielen Menschen, denn all das führt dazu, dass ein Paar menschlicher Augen mit dem dazugehörigen Gehirn nur einen Bruchteil dessen erfassen kann, was auf der Messe geboten wird. Wenn man auf dieser Messe nicht ordentlich Geschäft macht, dann macht man irgendetwas falsch, sei es bei der Herangehensweise, im Sortiment, im Verkauf oder anderswo. Denn auf Spielwarenmesse kommt die Toy-Welt ja zusammen, um Geschäfte zu machen.
Spielwarenmesse erleben aus ganz verschiedenen Perspektiven
Im Laufe der Zeit habe ich die Spielwarenmesse aus einer Vielzahl von Blickwinkeln erlebt. Ich war dort als Angestellter, als Vertreter meines eigenen Start-ups, als jemand, der nach Export- und internationalen Vertriebskanälen sucht und generell seinen Kunden neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen will. Und in all diesen unterschiedlichen Funktionen habe ich in den letzten 25 Jahren nie einen Reinfall erlebt. Klar, manchmal kommt man sich ein bisschen einsam vor, wenn man als Start-up einen kleinen Stand zwischen jeder Menge gut etablierter Anbieter bespielen soll. Aber selbst als One-Man-Show konnte ich auf der Spielwarenmesse immer viele Leads generieren, die sich dann auch in Umsätzen niedergeschlagen haben.
Geschäfte machen und auch noch Spaß haben
Ich kann mich noch gut an ganz unterschiedliche Geschäfte erinnern, die in Nürnberg ihren Anfang nahmen. Dabei kann es oft Jahre dauern kann, bis man einen internationalen Vertrieb auf die Beine gestellt hat, selbst wenn die Produkte, die man hat, wirklich gut sind. Ich weiß noch, dass ich einen Distributeur sieben Jahre lang davon überzeugen musste, ein Produkt von mir ins Sortiment aufzunehmen. Immer wieder gab es einen anderen Grund oder ein anderes Produkt, das besser als mein Produkt war. Ich habe diesen Distributeur sieben Jahre hintereinander auf der Spielwarenmesse bearbeitet, bis er schließlich Ja sagte. Das Produkt war dann übrigens ein Erfolg (was wir beide schon Jahre zuvor vorhergesagt hatten). Durch das Zusammentreffen mit anderen Menschen auf der Messe habe ich immer wieder Geschäfte mit den unterschiedlichsten Unternehmen einfädeln können - aus Nord- und Südamerika, Europa, dem Nahen Osten, Indien, China, Japan, Ozeanien und anderswo. Und das liegt nicht an mir, sondern an den Möglichkeiten, die die Spielwarenmesse bietet. Dort wird eine Plattform und eine Chance für Geschäftsabschlüsse zur Verfügung gestellt – und unsere Aufgabe als Vertreter der Toybranche ist es nur noch, diese Geschäfte dann umzusetzen.
Nach Messeschluss geht es weiter
Die besten Geschäfte werden bekanntlich im Wirtshaus gemacht. Und tatsächlich entsteht ein Großteil der Beziehungen bei einem gemeinsamen Abendessen oder in den Kneipen und Bars der Stadt nach Messeschluss. Diese Mischung aus zwischenmenschlichen und geschäftlichen Kontakten ist der Schlüssel zum Erfolg, denn hier kann man auch mal über schwierige Themen sprechen, die etwas mehr Zeit erfordern. Neue Leute kennenlernen, an Branchenevents, Dinners und Feiern teilnehmen – all das gehört zur Spielwarenmesse wie das Salz zur Suppe und macht zum einen den Reiz und zum anderen das geschäftliche Potenzial der Veranstaltung aus.
Nürnberg – der Beginn von wunderbaren Freundschaften
Ich habe viele schöne Erinnerungen an Kneipentouren durch die Nürnberger Altstadt mit alten und neuen Bekannten. In einem der zahlreichen Irish Pubs der Stadt habe ich sogar einmal eine Führungspersönlichkeit für ein Tochterunternehmen rekrutiert. Ein anderes Mal ging ich auf eine Party, die von einem großen Unternehmen aus der Entertainmentbranche veranstaltet wurde, und begegnete dort um halb zwei Uhr nachts einem Einkäufer, der dann viele Millionen Euro für die Produkte meiner Kunden ausgab – und das alles nur, weil wir uns zufällig auf der Party getroffen und zusammen viel Spaß mit dem guten fränkischen Bier hatten. Gerne erinnere ich mich auch an eine Feier, die der Graf Faber-Castell zu Ehren eines großen deutschen Spieleverlags veranstaltet hatte, zu der ich eingeladen war. Die Feier fand im Steiner Schloss statt, einer beeindruckenden Location ganz in der Nähe von Nürnberg. Am wertvollsten sind aber vielleicht die zahllosen Abendessen mit Freunden aus der Spielwarenbranche und Geschäftspartnern. Wir haben immer eine wunderbare gemeinsame Zeit nach Messeschluss, reißen immer wieder die gleichen alten Witze und stellen fest, dass wir zwar älter, dafür aber auch breiter geworden sind. Bevor wir dann wieder dazu übergehen, uns für den Rest des Jahres Sachen zu verkaufen.
Lange Tage, kurze Nächte
Spannend sind auch die unterschiedlichen Übernachtungsmöglichkeiten, denn hier ist für jeden Geschmack und Geldbeutel etwas dabei. In meiner Corporate-Zeit stieg ich natürlich immer in den besten Hotels der Stadt ab und durfte deren Annehmlichkeiten genießen. Als ich dann mein eigenes Start-up hatte, war Geld dagegen Mangelware und ich gab mich mit einem Bett im Schlafsaal in einem Hostel unweit des Hauptbahnhofs zufrieden. Erst machte ich mir Sorgen, ob man da überhaupt schlafen kann, um dann jedoch festzustellen, dass ich der Letzte war, der sich in den frühen Morgenstunden in den Schlafsaal schlich und dann aber als Erster wieder auf den Beinen und auf dem Weg zur Messe war! In einer Airbnb-Unterkunft hatte ich ein bemerkenswertes Erlebnis, als die Luftmatratze, die mein Nachtlager sein sollte, ihren Geist aufgab und ich fünf Nächte auf dem harten Boden schlafen musste! Mittlerweile suche ich mir gemeinsam mit Freunden eine Art WG auf Zeit als Unterkunft, aus der man sowohl die Altstadt als auch die Messe gut erreichen kann. Dadurch fühlt sie jede Nacht ein bisschen wie Nachhausekommen an…
Spielwarenmesse: the place to be
Im Verlaufe der letzten 25 Jahre ist die Spielwarenmesse als DER Branchentreffpunkt der Toy-Industrie ständig gewachsen, hat neue Hallen hinzubekommen und ihre Reichweite immer weiter vergrößert. Viele Unternehmen, die einst als Start-ups dort anfingen, zählen mittlerweile zu den etablierten Playern. Und die alten Hasen nutzen andererseits nach wie vor das immense geschäftliche Potenzial, das ihnen die Messe bietet, weil sie potenzielle Einkäufer, Distributeure, Agenten und andere wichtige Geschäftspartner zusammenbringt.
Derzeit plane ich, noch weitere 25 Spielwarenmessen zu besuchen. Dann bin ich 73 Jahre alt und das Flanieren durch die Gänge dürfte mir nicht mehr so leichtfallen. Wenn Sie also 2049 einen abgedrehten alten Knacker auf einem E-Scooter sehen, der rundum zufrieden und mit der Welt im Reinen zu sein scheint, dann könnte das durchaus ich sein…
Über den Autor
Steve Reece ist seit 25 Jahren in der Spielwarenbranche tätig. Er hat früher bei Hasbro klassische Marken wie Monopoly, Play-Doh und Trivial Pursuit verantwortet. Mittlerweile berät er mit seiner eigenen Agentur Kids Brand Insight Unternehmen dazu, wie sie ihren Umsatz im Ausland steigern, robuste diversifizierte Lieferketten aufbauen und die richtigen Mitarbeiter finden können.