
Haus des Spielens – Internationales Spiele-Netzwerk entsteht in Nürnberg
Nürnberg hat das Zeug zum Spielen! Dieses doppeldeutige Motto wird durch den geplanten Ausbau des „Pellerhauses“ zu einem „Haus des Spielens“ mit noch mehr Leben erfüllt. Das dort beheimatete Deutsche Spielearchiv Nürnberg wird gerade zu einem global wirksamen „Netzwerkknoten“ mit vielfältigen Beziehungssträngen ausgebaut. Bereits jetzt ist das neue Zentrum ein wesentlicher Bestandteil der Bewerbung Nürnbergs zur Kulturhauptstadt Europas N2025 – aber die Planungen laufen unabhängig von deren Erfolg. Das Haus des Spielens wird ein Ort des analogen und digitalen Spielens, ein Forschungszentrum für das Spielen der Zukunft und ein Spielezentrum zugleich. Ein permanenter Spielort mit internationaler Strahlkraft für Spiel-Professionals – Menschen die im weitesten Sinne beruflich mit Spielen zu tun haben – und Spiel-Begeisterte.
Spielen ist ein Alleinstellungsmerkmal für Nürnberg

Die Bedeutung des Spielens für die Stadt Nürnberg zeigt sich in der Geschichte, der Gegenwart und in vielen Plänen für die Zukunft. „Spielzeug ist Nürnberg. Spielen ist universell“, fasst Dr. Karin Falkenberg, Direktorin des Nürnberger Spielzeugmuseums zusammen. Nürnberg war stets ein Zentrum der Spielzeugproduktion vom Spätmittelalter bis heute und ist mit der Spielwarenmesse® Standort der weltweit bedeutendsten Fachmesse dieser Art. Die Stadt besitzt das bedeutende Spielzeugmuseum und das sehr gut sortierte Deutsche Spielearchiv Nürnberg. Hier gibt es eine lebendige, seit Jahren gewachsene Szene von leidenschaftlichen Brett-Spielern, dafür steht vor allem der Ali Baba Spieleclub e.V., der auch im Pellerhaus seine Veranstaltungen durchführt.
Durch das neue Format der „Testspiele“ ist das Spielearchiv zum analog-digitalen Spielzentrum gewachsen. Axel Kaldenhoven, Geschäftsführer des Berliner Spieleverlags Schmidt Spiele und Vorsitzender des Aufsichtsrats der Spielwarenmesse eG, die das Haus des Spielens von Beginn an unterstützt hat: „Als generationsübergreifender Ort für Kommunikation und Spiel wird das Haus des Spielens wichtige Impulse für Nürnberg, als auch über die Stadtgrenzen hinaus, setzen.“
Spielen – Nürnbergs Trumpf für die Kulturhauptstadtbewerbung 2025
Wie sehr das Thema ein Pfund zum Wuchern ist, hat die Jury der Kulturhauptstadt Bewerbung im Dezember 2019 Nürnberg ins Aufgabenbuch nach dem Bestehen der ersten Ausscheidungsrunde geschrieben. Ulrich Maly hat diese Ermunterung bei seiner letzten Eröffnung der Spielwarenmesse® als Oberbürgermeister - da er zur Wahl 2020 nicht mehr kandidierte – zitiert: „… another European topic is gaming and playfullness, toys. The intention is to invest in a European Capital of games and toys, based on the city’s heritage in toy industry.” Die in Wien lebende Zukunftsforscherin und Designerin Johanna Pichlbauer, freiberufliche Kuratorin der N2025 Bewerbung, schaut mit eigenem Blick nach vorn: „Wir starten das Projekt Toys of Tomorrow, wir wollen sozusagen Spiele aus der gedachten Zukunft in die Gegenwart zurückholen.“ Für die Bewerbungsrunde im August, wenn die nächste Hürde der N2025 Bewerbung zu nehmen ist, könnte „Spielen“ einen entscheidenden Einfluss ausüben: „Spiel bricht den Alltag auf. Es verbindet Menschen. Es stößt kreative Prozesse an, die logisch beginnen und empathisch enden“, zählt Pichlbauer auf, um gleich darauf auf einen anderen Aspekt, ein Forschungsprojekt, hinzuweisen.
Haus des Spielens schafft neuen Forschungskontext für das Spiel

Es heißt „Empamos“ und nutzt Erkenntnisse aus Spielformen, auch um Motivationsprozesse für die Zukunft der Arbeit zu verbessern. Diese „Gamification“ genannten Prozesse, die „spieltypische Elemente in spielfremde Kontexte einbringen sollen“, untersucht der Nürnberger Wirtschaftsinformatiker Prof. Dr. Thomas Voit (Autor des Aufsatzes „Was können wir aus Spielen für die Arbeit der Zukunft lernen“. Auch solche Forschungsarbeit findet im neuen Haus des Spielens Raum und Form: „Für eine wirkungsvollere Gamification muss daher zuallererst ein tieferes Verständnis über die Art und Kombinationsvielfalt von Spielelementen aufgebaut werden“, erklärt Professor Voit das Forschungsprojekt Empamos, das die Technische Hochschule Nürnberg seit Ende 2016 gemeinsam mit dem Deutschen Spielearchiv durchführt.
Kulturtreffpunkt für spielbegeisterte Menschen

Die Neuentwicklung des Hauses, daran lässt Oberbürgermeister Maly keinen Zweifel, ist „unabhängig vom Erfolg der Kulturhauptstadt-Bewerbung auf jeden Fall gesichert.“ 2025 soll der Bau eingeweiht werden. Auf der Homepage der Museen der Stadt Nürnberg wird das Projektbereits angekündigt: „Das Haus des Spiels wird die neue Kultur- und Begegnungsstätte im nördlichen Herzen der Nürnberger Altstadt. Durch die universelle Sprache des Spiels wird das Pellerhaus für die Bevölkerung und spielbegeisterte Besucher und Besucherinnen neu zum Leben erweckt. Das Konzept des Hauses soll dabei sowohl die analoge wie die digitale Spielewelt, die unterhaltsamen wie die lehrreichen und ernsten Seiten des Spielens umfassen.“
Ernst Kick, Vorstandsvorsitzender der Spielwarenmesse eG und Mitglied im Spielearchivbeirat, ist es dabei wichtig, dass das Spiel nicht länger als kindliche Beschäftigung verkannt wird. „Platon, Schiller, Nietzsche und andere Freigeister haben dem Spiel in der Vergangenheit schon große Anerkennung gezollt. Zurzeit zeichnet sich ein gesellschaftliches Umdenken ab, das die Bedeutung des Spielens in unterschiedlichen Zusammenhängen entdeckt. Das eröffnet dem Haus des Spielens ganz neue Räume der Zusammenarbeit und der Vernetzung mit allen, die den Wert des Spielens erkannt haben und sich damit professionell oder einfach begeistert auseinandersetzen.“
Das Spiel in all seinen Facetten begreifen und vernetzen
Netzwerkknoten, Spielewelten, analog und digital, Mensch und Kultur – wohin wird das führen? Ulrich Maly, dem die kulturhistorische Dimension des Spielens schon immer vorrangig erschien, freut sich auf die Belebung des Hauses: „Wir lassen den homo ludens da oben einziehen“, formuliert er. Bereits 2010 mit der Übernahme des Deutschen Spielearchivs von Dr. Bernward Thole aus Marburg war auch die Anforderung des Sponsors Spielwarenmesse®, dass das Spielearchiv ein öffentliches Spielezentrum wird. Im räumlichen Zusammenschluss mit dem Ali-Baba Spiele-Club im Pellerhaus hat das Spielen binnen weniger Jahre in Nürnberg einen erstaunlichen Zulauf erfahren. In Zukunft soll das Spielkulturangebot um viele Facetten bereichert werden. Ernst Kick, der selber ein weltumspannendes Netzwerk mit der Spielwarenmesse® knüpft, sieht das Spielezentrum als Inkubator: „Im Haus des Spielens wächst zusammen, was zusammengehört: das Spielen in all seinen Dimensionen. Dieser vielfältige Treffpunkt hat das Potenzial, richtungsweisende Impulse für die Zukunft des Spielens und das Spielzeug von morgen zu geben. Denn Spieleautoren, Game-Designer, Spieleforscher und die Spiele- und Spielwarenindustrie können viel voneinander lernen und sich so schneller weiterentwickeln. Die Fülle der denkbaren Optionen hat Dr. Gabriele Moritz, stellvertretende Direktorin der Museen Nürnbergs, in einem knapp 20-seitigen Konzept beschrieben. Die promovierte Historikerin blickt in eine weite Zukunft: „Wir arbeiten an der Schnittstelle vom analogen zum digitalen Spiel. Wir wollen keine Trennung, wir werden Spielen in seiner Gesamtheit darstellen; regional, lokal-kleinteilig, international, soziologisch, philosophisch, künstlerisch …“
Spielen verbindet weit über Sprach- und Altersgrenzen hinaus

Das klingt etwas verkopft – doch die intellektuelle Begleitung ist nur Teil des Konzeptes, so Moritz: „Wir veranstalten seit zwei Jahren im Pellerhaus sogenannte ‚Testspiele‘. Wir probieren Themen, Projekte, Formate aus, um die Begeisterung zu den Leuten zu bringen und auszuprobieren, was gut funktioniert: Rollenspiele, Brettspiel-Abende, neue Formate wie ‚Bits and Boards‘, auch um während der Zeit der Planung schon Menschen mitzunehmen und einzubinden. Außerdem beziehen wir aus diesen Praxisgrundlagen Inspirationen für den Umbau“ – man sieht: Es geht um alles.
„Alles ist in Bewegung – wir waren Pioniere bei der N2025 Europa-Bewerbung: Diversity, Partizipation, Inklusion, über Sprach- und Altersgrenzen hinweg. Popularkultur Seit‘ an Seit‘ mit Hochkultur – das ist ein Unique Selling Point“, sagt Moritz begeistert. Und denkt ebenfalls die Stadtentwicklung mit: „Wir haben hier ein super Haus, im Herzen der Stadt, einen Platz, aus dem noch viel werden kann.“
Eine gigantische Spielfläche für neue Spielformate entsteht

An der Seite von Moritz kämpfen etliche Mitarbeiter*innen um diese Zukunftsvision. Einer ist der Kultur- und Medienwissenschaftler Sebastian Pfaller vom Projekteam „Haus des Spielens“. Er träumt schon von der Nutzung der insgesamt 6.000 Quadratmeter, die das Haus bietet: Manche Räume gleichen niedrigen, riesigen Garagenhallen – ideal für das Spiele-Archiv, die Aufbewahrung von 30.000 Gesellschaftsspielen von 1945 bis zur Gegenwart. Ein anderer Saal, der mit hohen Decken und Fenstern im sechsten Obergeschoss den Blick über die Dächer der Altstadt eröffnet, soll komplett leergeräumt werden: „Wir planen eine riesige Projektionsfläche an der Wand, wo interaktive, spielerische digitale Installationen Raum finden sollen – eine gigantische Spielfläche, für Rollenspiele, interaktive Spielformate …“, gerät Pfaller ins Schwärmen und untermauert seinen Optimismus mit Fakten: „Im letzten Jahr hatten wir 21.000 Besucher – in einem Haus ohne Öffnungszeiten, ohne Veranstaltungsinfrastruktur. Vor der Testspiel-Reihe waren es 3.000.“
Mutprobe für große Ideen
In diesen Wochen, die Beschränkungen wegen des Corona-Virus‘ haben das öffentliche Leben und auch die Spielveranstaltungen im Pellerhaus lahmgelegt. Kurzerhand wurde ein digitales Kinderferienprogramm für die Osterferien ins Leben gerufen. Auch wenn der Umbau beginnt, soll das Spielen nicht zum Erliegen kommen, im Gegenteil: Es soll in die Stadt, ins Spielzeugmuseum, in die Kulturläden der Stadtteile – in die Welt getragen werden. Die Aufgabe der Kulturhauptstadt 2025 sei es, hat Johanna Pichlbauer aus den Jury-Anmerkungen extrahiert, „die Menschen nachhaltig zu bewegen. Große Erinnerungen zu schaffen“. In Nürnberg hat sie, wie so viele Auswärtige, „einen Hang zu allzu großer Bescheidenheit“ ausgemacht. „N2025 könnte eine Mutprobe sein. Eine Mutprobe für große Ideen. Das Spielen kann nicht nur die große Welt im Kleinen abbilden. Das Spielen kann die ganze Gemeinschaft tragen“, prophezeit sie.
About the author
Peter Budig studied Protestant theology, history and political science. He worked as a freelance journalist, headed up the editorial department of a large advertising paper in Nuremberg for ten years and was the editor of Nuremberg’s Abendzeitung newspaper. He has been freelancing again since 2014 as a journalist, book author and copywriter. Storytelling is absolutely his favourite form.