Spielzeug und Spielen – Kult und Kulturgut in Nürnberg

Sie stolziert, strahlend oder mit Schmollmund und ist weltberühmt, die Barbie Puppe, Kulturgut und Kultfigur. Ursprünglich, in ihren Anfängen in den 1950er Jahren, war sie mal ein urfränkisches selbstbewusstes Mädel. Sie hieß Lilli, war eine gewagte Mischung; mal brav und strebsam aber auch ein bissel „bitchie“.

Strahlkraft des fränkischen Spielzeugs auf Deutschland und die Welt

Diese Lilli war eine Erfindung des Zeichners Reinhard Beuthien für die erste Ausgabe der BILD-Zeitung 1952. Die respektlosen Karikaturen machten Furore und der Spielzeug-Modelleur Max Weißbrodt der Spielzeugfabrik O. & M. Hausser in Neustadt bei Coburg schuf die blonde Puppe dazu. Die war schon ziemlich erfolgreich, als das Ehepaar Ruth und Elliott Handler, die 1945 die Firma Mattel in den USA mitgegründet hatten, sie auf Europareise in einem Schaufenster in Luzern entdeckten, adaptierten, am 9. März 1959 in New York präsentierten und sie zur weltweit meistverkauften Puppe machten… Volkskundlerin Susanne von Goessel-Steinmann inventarisierte eine der weltweit größten Sammlung mit rund 2.000 Barbies für das Spielzeugmuseum Nürnberg. Die Volkskundlerin ist überzeugt, dass sich in keinem anderen Spielzeug gesellschaftliche Entwicklungen, die Veränderung des Frauenbildes und modische Strömungen so vielschichtig wiederspiegeln wie in diesem Modepüppchen. 

Spielen ist der Anfang von allem

Garde Spielzeugsoldaten aus dem Nürnberger Spielzeugmuseum © Spielzeugmuseum Nürnberg

Kein Spielzeug, doch Kulturgut waren die berühmten Puppenhäuser aus Nürnberger Produktion, das bekannteste ist heute das „Stromerhaus“, 1639 gebaut. „Die detailreichen Puppenhäuser waren im Besitz reicher Adelsfamilien. Es waren Objekte der Unterweisung – anhand der Anordnungen konnte man lehren und lernen, wie man einen guten Haushalt führt“, erläutert Dr. Claudia Selheim, u.a. Leiterin der Sammlungen Volkskunde Spielzeug im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg. Die kulturelle Kraft des Spielens kann man auch aus der Produktion von Zinnfiguren ableiten, die seit dem späten 18. Jahrhundert in Nürnberg und Fürth zu enormen Handelserfolgen führte. „Es gab Berühmtheiten wie Friedrich den Großen oder Napoleon, ganze Fronleichnamsprozessionen, Märchenfiguren – sie waren Spielzeug und Unterrichtsmaterial in einem“, erläutert Dr. Selheim. Die berühmten Zinnsoldaten kamen erst im 19 Jahrhundert auf, als das Handwerk von der industriellen Massenproduktion abgelöst wurde. Die anfangs hohe Qualität der Zinnfiguren ließ nach, ein Massenprodukt entstand, und Nürnberg-Fürth waren die Zentren der Produktion. Kinder lernten früh die Begeisterung fürs Militärische – ein hohes Erziehungsziel im 19. und frühen 20. Jahrhundert.

Abkehr vom Feudalismus: Der Bube ist der Chef beim Skatspiel

Dr. Karin Falkenberg, Leiterin Spielzeugmuseum © Spielzeugmuseum Nürnberg

Gelegentlich spiegelt das Spiel einen Wandel in der Gesellschaft – und befördert ihn: Dem Wirtschaftswissenschaftler Prof. Jens Junge, Gründer des „Instituts für Ludologie“ in Berlin, fällt ein berühmtes Beispiel ein: „Anfang des 19. Jahrhunderts wurde in Altenburg in Thüringen das Skatspiel erfunden. Was uns nicht mehr auffällt, damals aber ein revolutionärer Akt war: Die höchste Spielkarte ist nicht der König sondern der Bube! Das markiert eine Abkehr vom feudalistischen Gedankengut. Die Bürger trafen sich in vornehmen Salons, spielten Skat und diskutierten die politische Lage.“

 

 „Spielen ist die Grundvoraussetzung jeder menschlichen Entwicklung“, postuliert Dr. Karin Falkenberg, Leiterin des Nürnberger Spielzeugmuseums. Friedrich Schiller behauptet gar: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Und der Vater des „Kulturgut Spiel“, der Prophet des „Homo Ludens“, des spielenden Menschen, der die Kultur sich aus dem Spiel schöpft und aneignet, ist der Niederländer Kulturwissenschaftler Johann Huizinga (1872-1945). „Seit langer Zeit hat sich bei mir die Überzeugung in wachsendem Maße befestigt, dass menschliche Kultur im Spiel – als Spiel – aufkommt und sich entfaltet“, schreibt Huizinga. Sein „spielender Mensch“ ist der Gegenentwurf zum Homo Faber, dem tätigen Menschen, wie dem Ingenieur, der im berühmten Roman von Max Frisch zum gefühlsarmen Erfolgstypen stilisiert wird.    

Warum spielt der Mensch?

In Karin Falkenbergs Sonderausstellung „Nürnberg hat das Zeug zum Spielen“ (2018) im Nürnberger Spielzeugmuseum sind die Kuratoren der Frage direkt nachgegangen „Warum spielst Du?“: 100 Porträts spielender Menschen und ihrer „Gründe“ kann man hier nachverfolgen. Der Spielbegriff ist bewusst weit gefasst, wir finden eine Profigeigerin, eine Cosplayerin, den Quizmaster Kevin Dardis, dessen Spiel es ist, einen Wettbewerb der Fragen-Beantworter anzuzetteln – sie alle begreifen ihre Tätigkeiten (auch) als Spiel. Denn das Spiel lebt vom Versuch, vom kreativen Irrtum und vom Finden von Lösungen und manchmal spielt es mit den Möglichkeiten des Lebens und führt zur großen Liebe: Eva von Neuhaus lernte einst ihren späteren Ehemann Bodo beim Spielen im Ali Baba Spieleclub in Nürnberg kennen und lieben. Jahrzehnte später sind sie (mit ihren Söhnen Noah, 14 und Benjamin 11), weiterhin Stammgäste im Spieleclub.

Deutschlands größter Spieleclub unterstützt die Kulturhauptstadtbewerbung Nürnbergs

Christian Wallisch, Präsident Ali Baba Spieleclub © Budig

Dieser Ali Baba Spieleclub, ein privater Nürnberger Verein, ist einmalig in ganz Deutschland : „Wir sind mit über 800 Mitgliedern der größte Spieleclub seiner Art in Deutschland. Mit Regionalverbänden in Nürnberg, Regensburg, Ingolstadt, Köln, Berlin, Stuttgart, Bamberg, Chemnitz und Erlangen sowie in der Region Hunsrück agieren wir bewusst überregional, um den Spielgedanken möglichst weit zu tragen“, erläutert Christian Wallisch, Gründer und Präsident von Ali Baba seit 1991. Der Verein genießt breite Unterstützung in der Stadtgesellschaft, wird regelmäßig von der Spielwarenmesse gefördert, darf im historischen Pellerhaus mietfrei seine Spieleabende veranstalten (montag- und freitagabends) und die Räume nutzen. Mit der Bewerbung Nürnbergs für die Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2025, kurz N2025, hat der Verein weitere Bedeutung erlangt: Spielen steht mit im Zentrum des Bewerbungsbuches der Stadt und der Verein leistet zahlreiche Beiträge. „Kultur ist ja kein Selbstzweck“, meint Karin Falkenberg vom Spielzeugmuseum. „Kultur liefert Antworten auf die Frage ‚Was ist der Mensch‘ – und das Spielen ist dafür die Triebfeder vom Beginn der Geschichte. Die ganze Natur, alles Leben funktioniert spielerisch.“             

 

Über den Autor

Peter Budig hat Evangelische Theologie, Geschichte und Politische Wissenschaften studiert. Er war als Journalist selbstständig, hat über zehn Jahre die Redaktion eines großen Anzeigenblattes in Nürnberg geleitet und war Redakteur der wunderbaren Nürnberger Abendzeitung. Seit 2014 ist er wieder selbstständig als Journalist, Buchautor und Texter. Storytelling ist in allen Belangen seine liebste Form.

 

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