Rückblende: bio!TOY 2023 Konferenz in Nürnberg
Ein Kommentar von Sharon Keilthy
Auf der bio!TOY-Konferenz in Nürnberg diskutierten Spielwarenhersteller, wie ihre Produkte nachhaltiger werden. Ein Kommentar der Ökoaktivistin Sharon Keilthy aus Irland:
Die bio!TOY findet alle zwei Jahre statt. Ich hatte dort bereits 2021 einen Vortrag gehalten – damals ging es in erster Linie um Bio-Kunststoffe. Am Ende der Konferenz hatte ich Mit-Veranstalter Harald Kaeb gefragt, ob wir nicht auch das Thema nachhaltiges Spielzeug mit auf die Tagesordnung setzen könnten. Wir haben uns letzten Endes doch dagegen entschieden, denn Holzspielwaren sind etwas ganz anderes als Spielsachen aus Pappe, und gebrauchtes Spielzeug ist wieder ein völlig anderes Thema. Nichtsdestotrotz erschienen uns nachhaltige Spielwaren aus Kunststoff (unter Berücksichtigung von Biokunststoffen und recycelten Kunststoffen) sinnvoll als Topic. Denn Spielwarenhersteller und Rohstofflieferanten schauen sich in der Regel sowohl Biokunststoffe als auch recycelte Kunststoffe an.
Deswegen haben wir uns auch auf der bio!TOY 2023 beide Varianten angeschaut (und uns überlegt, was für die eine und was für die andere spricht).
Ich denke Tag und Nacht über nachhaltige Spielsachen nach und deswegen war es für mich wie ein Nachhausekommen, dass ich zwei Tage lang mit über 100 Menschen, die alle meine Leidenschaft teilen, intensiv über nachhaltige Kunststoffe diskutieren durfte.
Hier ein Kurzabriss dazu, wer alles da war, was die wichtigsten Schlagwörter und Ergebnisse waren und wann es so leise war, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können.
Wer alles da war
117 Menschen (und 6 Handpuppen!):
78 vor Ort, 39 über Zoom
31 haben einen Vortrag gehalten (siehe das logos-Chart)
Die wichtigsten Schlagwörter und Ergebnisse
Was die Menschen antreibt: es geht uns persönlich an.
Für mich war es besonders ermutigend, dass die Redner über eine Zukunft ohne fossile Brennstoffe sprachen, die „auf jeden Fall kommt“. Und alle waren sich einig, dass auch Spielwaren nachhaltig werden müssen. Die Motivation dafür ist häufig im privaten Bereich angesiedelt, denn meistens sind die eigenen Kinder die Triebfeder.
Meine Tochter hat mich gefragt: „Papa, warum produziert ihr Spielzeug auf der Basis von Erdöl? Wo doch die Erde in Gefahr ist“. Darauf wusste ich keine vernünftige Antwort. Also bin ich ins Büro gegangen und habe meinem Team gesagt: „Wir müssen was ändern!
Steven van Bommel, Gründer von BiOBUDDi
Ich habe zwei Kinder, die bei Fridays for Future mitmachen. Das betrifft mich also persönlich. Und Unternehmen wie unseres hinterlassen einen gewaltigen CO2-Fußabdruck. Deshalb müssen wir uns ändern.
Christian Ruthard, INEOS Styrolution
Ich wollte, dass meine Kinder in einer intakten Umwelt aufwachsen. Also gab es zwei Möglichkeiten: Entweder sie ohne Spielsachen großzuziehen, oder die Spielsachen nachhaltig zu machen.
Sonia Sánchez, Sustainable Toys Action Consulting
Ich war auf der Suche nach einem Geburtstagsgeschenk zum 4. Geburtstag meiner Tochter und habe es einfach nicht über mich gebracht, in Plastik verpacktes Plastikspielzeug zu kaufen. Also musste ich unverrichteter Dinge wieder nach Hause gehen. Und da fasste ich den Entschluss, dass, wenn ich das jetzt nicht angehe, wer in aller Welt soll es dann sonst machen? Also kündigte ich meinen Job und eröffnete den ersten rein ökologisch ausgerichteten Shop für Spielwaren weltweit.
Sharon Keilthy (das bin ich!), Jiminy Eco Toys und Sustainable Toys Action Consulting
Definition des Begriffs „nachhaltige Spielwaren“
Sie haben alle Recht, denn die Spielwarenproduktion ist die plastikintensivste Industrie der Welt. 90% aller Spielwaren werden unter Verwendung von Rohplastik aus Erdöl hergestellt. Der daraus resultierende CO2-Fußabdruck ist so groß, dass wir 1 Milliarde Bäume pflanzen müssten, um ihn zu neutralisieren.
Nachhaltigkeit bedeutet CO2-Einsparung. Alles andere ist nur heiße Luft.
Filippo Gallizia, GeoMag World
Die große Mehrheit der Vortragenden stimmte ihm zu und legte ihren Fokus ebenfalls darauf, wie Spielwaren CO2-neutral gemacht werden können.
Aber auch die Recycling-Fähigkeit von Spielzeug stand immer wieder zur Debatte und tauchte sogar in der Nachhaltigkeitsstrategie eines Spielwarenproduzenten auf. Viele betonten aber auch, dass man sich hier kein X für ein U vormachen lassen darf und wir es unter Umständen sogar mit Greenwashing zu tun haben.
Bei meinem ökologisch ausgerichteten Toy-Shop Jiminy legen wir strenge Standards an, die sich einzig und allein am CO2-Fußabdruck orientieren. Das bringt unserem Planeten einen realen und unmittelbaren Nutzen. Recycling mit den heute vorhandenen Recycling-Systemen generiert dagegen nur einen theoretischen Nutzen, den der Kunde in Wirklichkeit überhaupt nicht umsetzt. Im Gegensatz dazu wird Qualitätsspielzeug 25 Jahre lang verwendet, bevor es dann zu alt oder kaputt ist und nicht mehr an das nächste Kind weitergereicht werden kann. Und in 25 Jahren (also so um 2050 rum) werden wir auch ganz andere und bessere technische Recycling-Möglichkeiten haben.
Wenn man dem Leitfaden der FTC folgt (ein entsprechender EU-Standard soll noch in diesem Jahr verabschiedet werden), ist ein Nutzen, der faktisch gar nicht zum Tragen kommt, Greenwashing.
Aufgrund der Abfallbehandlungshierarchie wissen wir außerdem, dass Recycling meistens sinnvoller ist als darauf zu warten, bis ein Produkt biologisch abgebaut ist. Man braucht viel weniger Energie, Wasser und Chemikalien, um aus bereits existierendem Papier neues Papier zu machen, als wenn man darauf wartet, dass es abgebaut ist, um dann einen neuen Baum zu pflanzen, aus dem dann wieder Papier gewonnen wird.
Aktuell denken die Menschen zwar, dass „abbaubar“ etwas mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Aber was wir nicht wollen können, sind Spielzeuge, die biologisch abbaubar sind und dann oft in der Natur landen, wie z.B. die Darts von Nerf-Blastern!
Biobasiert oder recycelt?
„Es gibt eine ökologische Grenze für die Menge an biobasierten Kunststoffen, und deswegen werden recycelte Kunststoffe das Thema der Zukunft sein.“ - Alexander Kronimus, Plastics Europe. Die Bedeutung von recyceltem Kunststoff war ein sehr wichtiges Thema auf der bio!TOY.
Beim Recycling besteht aber immer das Risiko von Verunreinigungen. Industrieabfälle sind hier nicht das Problem, denn da wissen wir in der Regel, woraus sie bestehen. Beim Verbraucher anfallender Abfall ist nicht so einfach zu handhaben (denken Sie nur an Handys mit den ganzen Schwermetallen, die in so einem Gerät stecken). Die Trennung von Kunststoffen aus Verbrauchermüll, die sicher genug sind, um zu Spielwaren verarbeitet zu werden (nach Harzen und Farben), kostet viel Geld. Deswegen stehen diese Kunststoffe nicht in den Mengen und zu den Preisen zur Verfügung, die vor allem von großen Spielzeugherstellern nachgefragt werden.
Kunststoffe, die sich für die Spielwarenproduktion eignen, stammen hauptsächlich aus Lebensmittelverpackungen, vor allem aus PET-Flaschen für Getränke. Die Meinungen gehen allerdings auseinander, ob es sinnvoll ist, das in sich geschlossene Kreislaufsystem bei Plastikflaschen aufzugeben, um einen Teil des Materials in die Spielzeugproduktion zu pumpen.
Biokunststoffe, die ja ein (erneuerbarer) Rohstoff sind, eignen sich besser für die Spielwarenproduktion. Aber sie werden nur einen kleinen Prozentsatz der Materialien ausmachen, die wir für eine CO2-freie Zukunft benötigen, daran besteht kein Zweifel.
Bei der Diskussion zum richtigen politischen Handeln in der Zukunft, an der die Verbände Toy Industries of Europe, Plastics Europe, die Europäische Kommission und Hasbro teilnahmen, wurde erörtert, wie die Politik dafür sorgen kann, dass mehr für die Spielwarenproduktion geeignete Kunststoffe verfügbar sind.
Massenausgleich
Massenausgleich bedeutet, dass man einen Mix aus Pflanzen (Biomasse) und/oder Abfall zusammen mit fossilen Rohstoffen in eine Anlage einspeist, dabei die Prozentsätze der einzelnen Komponenten erfasst und diese Prozentzahl dann dem Output zuweist.
Wenn z.B. 40% Biomasse eingespeist werden, können auch 40% der Spielwaren (gemessen am Gewicht bzw. der Masse), die aus den daraus resultierenden Kunststoffen hergestellt werden, als biobasiert zertifiziert werden. Hier gibt es zwei Möglichkeiten: entweder werden 40% der Spielwaren als zu 100% biobasiert zertifiziert und die restlichen 60% als nicht biobasiert oder alle Spielwaren werden als zu 40% biobasiert zertifiziert.
Was wir dann nicht wissen ist, wie viel Prozent des Spielzeugs, das wir gerade gekauft haben, wirklich aus Biomasse stammt – es sei denn, wir machen für jede Kunststoffcharge einen kostenintensiven Carbon-14-Test.
Floris Buijzen von Borealis hat das anhand einer guten Analogie veranschaulicht: Grüner Strom fließt durch dieselben Netze wie herkömmlich produzierter Strom. Das einzige, was gemacht wird, ist, dass der erneuerbare Strom denjenigen Verbrauchern zugerechnet wird, die grünen Strom von ihren Anbietern beziehen.
Ich persönlich habe nichts gegen das Massenausgleichsprinzip. Wenn man dadurch mehr Produzenten dazu bringt, mehr pflanzliche Rohstoffe oder Abfallprodukte und weniger Erdöl zu verwenden, ist unserem Klima in jedem Fall geholfen. Manche Spielwarenhersteller machen sich aber Sorgen und denken, dass die Verbraucher diese Zusammenhänge nicht kennen, und lieber mit Sicherheit wüssten, dass das Spielzeug, das sie in Händen halten, zu 100% aus pflanzlichen Rohstoffen hergestellt oder recycelt wurde.
Sich zu ändern ist immer schwer, und große Änderungen zu bewirken ist noch viel schwerer
Alle Spielwarenhersteller haben von Fehlern und daraus resultierenden Lernprozessen berichtet. Dabei sind die Herausforderungen für die Schwergewichte unter den Produzenten besonders groß:
„Früher oder später werden die Verbraucher nachhaltige Waren nachfragen. Deswegen haben wir uns 2017 entschieden, auf recycelte Kunststoffe umzustellen und gleich mit unserer wichtigsten Produktlinie begonnen, anstatt es erst mit einer kleineren zu probieren.“ - Filippo Gallizia von GeoMag World, einem mittelgroßen Player, der mittlerweile seine gesamte Produktpalette auf recycelte Polyolefine umgestellt hat.
- Filippo Gallizia von GeoMag World, einem mittelgroßen Player, der mittlerweile seine gesamte Produktpalette auf recycelte Polyolefine umgestellt hat.
Wir haben ein breites Portfolio mit über 4.000 Produkten, von denen die Hälfte jedes Jahr erneuert wird. Das macht Nachhaltigkeit besonders schwierig. Trotzdem senken wir unsere CO2-Emissionen bis 2030 um 42% und werden 2050 Net Zero erreichen.
Rafaela Hartenstein, Hasbro
Sicherheit
Man hatte auf der Konferenz bisweilen den Eindruck, dass mindestens die Hälfte der Vortragenden sinngemäß die Aussage in ihrer Rede hatten, dass man zwar gerne nachhaltig wäre, aber bei der Sicherheit für die Kinder keine Kompromisse eingehen könne. Die größte Sorge hier besteht darin, dass recycelte Kunststoffe verunreinigt sein könnten
Es war dann Sonia Sánchez, die mit einer starken Botschaft für absolute Stille im Raum sorgte: „Wir reden hier über die Sicherheit und Nachhaltigkeit von Spielsachen, als ob man diese beiden Punkte einfach so gegeneinander austauschen könnte. Aber Nachhaltigkeit bedeutet Sicherheit, nur eben auf lange Sicht. Und wenn manche Kinder schon heute unter klimabedingten Überschwemmungen oder Dürren leiden, dann bedeutet Nachhaltigkeit schon heute Sicherheit.“
Kosten
Manche Hersteller hatten überhaupt keine Kostensteigerung beim Übergang zu recycelten Materialien zu verzeichnen, wie z.B. GeoMag, die ein gut verfügbares Recycling-Polymer verwenden.
Die meisten Produzenten aber berichteten über gestiegene Kosten, wie z.B. Fischertechnik, wo die finalen Kosten für den Wechsel auf Bio-PA6 bei einem Set um 40% höher lagen.
Ulrich Betzold berichtete, dass man anhand ausführlicher Tests im Onlinehandel festgestellt habe, dass Verbraucher bis zu 10% mehr für nachhaltige Waren zahlen (auf den Endpreis im Einzelhandel bezogen). Meine Berechnungen ergeben, dass, wenn die Materialkosten in der Spielwarenproduktion nur 10% der Herstellungskosten betragen, man um bis zu zwei Mal höhere Materialkosten einpreisen kann, bevor sich der Einzelhandelspreis um 10% erhöht.
Was ich für mich mitgenommen habe
Die bio!TOY hat mir viel Mut gemacht, weil so viele einflussreiche Menschen in unserer Branche sich so sehr für Nachhaltigkeit engagieren. Und dass diese Menschen auch wissen, dass wir als Branche, bei der es in allererster Linie um Kinder geht, eine Führungsrolle beim Thema Nachhaltigkeit einnehmen sollten. Um das zu schaffen, müssen wir noch ein ganzes Stück Weg gehen.
Über die Autorin:
Sharon Keilthy aus Dublin in Irland ist Gründerin des weltweit ersten Spielzeugshops für ökologisch denkende und handelnde Menschen, der im Internet unter Jiminy.ie besucht werden kann. Bis heute hat sie Ökospielzeug im Wert von 2 Mio. Euro verkauft. Alles CO2-neutral und abfallarm. Sie ist Mitbegründerin der Women in Toys Sustainability Learning Community, zur Schaffung von Bewusstsein für das Thema Nachhaltigkeit.
Große und frische Ideen für die Zukunft
Auf der bio!TOY 2023 wurden zahlreiche gute Ideen für die Zukunft vorgestellt. Das sind meine Favoriten:
- Elise Hounslow, Leitende Industriedesignerin: Biomimicry oder Biomimetik ist eine Disziplin, bei der man sich fragt, wie die Natur ähnliche Probleme löst und wie wir entsprechende Erkenntnisse in der Praxis anwenden können.
- Floris Buijzen, Borealis: Könnten Rohstofflieferanten in der Zukunft vielleicht auch „Polymere als Service“ anbieten?
- Mesbah Sabur, Circularise: Digitale Produktpässe über die Blockchain-Technologie, automatisiertes Tracking und automatisierter Austausch von Supply-Chain-Zertifikaten wie ISCC.
- Matthew Regnier, Dagoma Toy Rescue: Netzwerkbasierter 3D-Druck von Ersatzteilen zur Reparatur von Spielwaren vor Ort.
- Sharon Keilthy (die Verfasserin dieses Artikels), Jiminy Eco Toys und Sustainable Toys Action Consulting: „Bei der Wiederverwendung von Spielzeugen ist es doch so: Wenn wir jetzt aufhören, Spielwaren zu produzieren, hätten die Kinder in den entwickelten Ländern noch für mindestens 15 Jahre genügend Spielsachen.“