Die Kreativburg für Spiel- und Lerndesign
Studieren an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle
Von Ulrich Texter
Wer Kunst oder Design in Deutschland studieren will, stößt auf eine Vielzahl von exzellenten Kunst- und Fachhochschulen, Akademien und Universitäten. Mit Spiel- und Lerndesign verfügt die Kunsthochschule Burg Giebichenstein allerdings ein einzigartiges Alleinstellungsmerkmal. Kommt man an Halle nicht vorbei, wenn man das Handwerkzeug der Spielzeuggestaltung erlernen will?
Philosophen haben bekanntlich die Welt immer nur verschieden interpretiert. Für den Begründer der materialistischen Erkenntnistheorie kam es doch vor allem darauf an, sie tatsächlich zu verändern. Das Ergebnis ist bekannt. Mit ihren visionären Ansätzen und reformerischen Ideen, dem Konzept von Theorie und Praxis als Einheit wollten Anfang und Mitte des letzten Jahrhunderts auch drei deutsche „Gestaltungsschulen“ die Welt zum „Schöneren“ verändern. Darunter die heutige Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, die im Laufe ihrer Historie elf Mal den Namen wechseln sollte. Sei es auf politischen Druck hin oder angesichts inhaltlicher Reformen. Der Anspruch, Menschen mit einem anderen Bewusstsein auszubilden, scheint aber in Halle immer noch vorhanden zu sein.
Von der Handwerkerschule zur Hochschule
Die Burg, wie die Hochschule auch genannt wird, und die 1915 aus der ehemaligen Handwerker- und Kunstgewerbeschule hervorging, trotzte allen geschichtlichen Stürmen. Das Bauhaus hingegen, 1919 gegründet, und die Ulmer Hochschule für Gestaltung, 1953 gegründet, liefern längst den Stoff für Historiker. Der Gründer der Handwerkerschule der Stadt Halle, Paul Thiersch, betrachtete das Bauhaus als einen direkten Konkurrenten, denn die Ideen der Schulen ähnelten sich. Beide setzten auf erstklassig ausgestattete Ateliers und Werkstätten; beide legten großen Wert auf eine breite Grundlagenausbildung und moderne pädagogische Konzepte; beide suchten die Verbindung von Kunst, Handwerk und Formgebung. Nach der Umsiedlung des Bauhauses wechselten denn auch eine Reihe von Bauhäuslern nach Halle. Darunter Gerhard Marcks und Marguerite Friedländer.
Mit Projekten zum Designer
Experimentelle Praxis zählt auch heute noch zum Kern des Unterrichts. Dieser setzt handwerklich-technische Fähigkeiten und Fertigkeiten ebenso voraus wie eine künstlerische Veranlagung. „Was wir wollen“, sagt Karin Schmidt-Ruhland, „sind mündige, eigenständig lernende Studierende, die wirklich wissen, was sie wollen, und Lust auf Design haben. Deshalb müssen alle, die sich bewerben, auch bei der Aufnahmeprüfung ein Praktikum vorweisen, sei es bei einer Holzwerkstatt oder Tischlerei, bei einem Goldschmied, einer Modellbaufirma oder Näherei.“
Karin Schmidt-Ruhland lehrt seit 2007 Spiel- und Lerndesign in Halle. Der Masterstudiengang heißt Design of Playing and Learning. Außerdem verlangt das Studium von den angehenden Designschaffenden, ihre Entwürfe eigenverantwortlich in konkrete Modelle umzusetzen. „Das ist das Besondere an der Burg, immer schon gewesen, ihre sehr gut ausgestatteten Werkstätten,“ so Schmidt-Ruhland weiter. Das Design-Studium erfolgt in Form von Projekten, nicht vom Katheder herab. Im vergangenen Jahr fiel der Startschuss für ein 3.000 m2 großen Neubau für Ateliers und Werkstätten. Das zeigt, die Burg steht, trotz aller historischen Irrungen und Wirrungen, auch für Kontinuität und stete Orientierung an neuen Erfordernissen.
In der Spitzenklasse der Kunsthochschulen
Im Rückblick wird das Bauhaus oft als die wichtigste und einflussreichste Schule für Gestaltung des 20. Jahrhunderts und als „Kaderschmiede der Moderne“ bezeichnet. Viele ihrer Artefakte sind heute Kult, aus bürgerlichem Ambiente kaum wegzudenken. Dennoch braucht die Burg ihr Licht keineswegs unter den Scheffel zu stellen, wie Karin Schmidt-Ruhland glaubt. „Die Burg ist nie unter dem Aufmerksamkeitsradar geflogen“, so die Hochschullehrerin. „Auch in der DDR war sie etwas Besonderes, und sie liegt unter den Kunsthochschulen in Deutschland unter den Top 3. Was sie auszeichnet, ist, dass sie ein einzigartiges Programm, eine tolle Grundlagenausbildung und eine enorme Vielfalt an Studiengängen bietet.“
Einzigartige Ausbildung
Außer Frage steht, dass der Fachbereich Design mit seinen fünf Studiengängen der einzige ist, bei dem Spiel- und Lerndesign als Schwerpunktthema zur Auswahl steht. Und richtig ist auch, dass 2013 die Kunsthochschule Halle beim weltweiten Design-Ranking des renommierten Design Zentrums Red Dot als beste deutsche Hochschule abschnitt. Bereits 1965 führte die Burg unter ihrem Rektor Erwin Andrä das Studienfach Spielzeuggestaltung an, das heute Spiel- und Lerndesign heißt. Die ehemalige Leiterin das Sonneberger Spielzeugmuseums glaubt den Grund für diesen innovativen Schritt zu kennen, wie sie vor Jahren in einem Gespräch über Spielzeug aus dem Osten in Deutschlandfunk Kultur preisgab: „Mir erscheint es vor allem wichtig, dass man in der DDR auch in der Heranbildung des Spielzeugdesign, der Gestalter, viel Wert daraufgelegt hat, dass Spielzeug pädagogisch wirksam sein musste.Es musste also eine gute Gestaltung haben.“ Auch Karin Schmidt-Ruhland will Menschen mit einem „anderen Bewusstsein“ ausbilden und das freie Spielen fördern.
Der Weg zum Studienplatz
Mit über 20 Studienrichtungen in den Fachbereichen Kunst und Design sowie rund 1.000 Studierenden zählt die Burg bundesweit zu den größten Hochschulen. Rund ein Drittel studieren Kunst, zwei Drittel Design. Wer sich für ein Projekt-Studium mit Bachelor-Abschluss im Fachbereich Design entscheidet, durchläuft vorher eine Aufnahmeprüfung, die inzwischen digital abgelegt wird. Studieninteressenten müssen dafür die Hochschulzugangsberechtigung und ein Vorpraktikum nachweisen sowie den Lebenslauf und eine Mappe mit rund 20 Arbeitsproben einreichen. Aber auch diejenigen haben eine Chance, einen der raren Studienplätze zu ergattern, die keine Hochschulreife haben oder im Gymnasium oder in der Fachhochschule mindestens die 11. Klasse besuchen. In diesen Fällen müssen sie ihre künstlerische Begabung nachweisen, was sich in Punkten bei der Bewertung ihrer Unterlagen niederschlagen muss. Nach der Vorprüfung folgt eine zweite Auswahlphase. Mögliche Kandidatinnen und Kandidaten werden nach Halle eingeladen, um im Rahmen einer Hausaufgabe und eines Gesprächs den finalen Nachweis ihrer Eignung zu erbringen.
Von den Grundlagen zum lebenslangen Lernen
Das Design-Studium gliedert sich in drei Phasen. „Im ersten Studienjahr vermitteln wir den Studierenden“, so Karin Schmidt-Ruhland. „interdisziplinär mit allen Studiengängen die Grundlagen der Gestaltung, egal ob sie sich für Industrie-, Produkt- oder Spiel- und Lerndesign entschieden haben.“ Gestalterische Grundlagen sind kennzeichnend für die ersten Semester. Schmidt-Ruhland setzt dabei auf „methodische Gestaltungsübungen“, darunter auch mit Spielklassikern. Dabei geht es weniger um eine Optimierung, sondern um die „Skills“ eines Gestalters oder Gestalterin, damit sie oder er, wie sie sagt, „im Designprozess immer handlungsfähig“ bleibt. Im zweiten Studienjahr folgt das komplexe Gestalten anhand vorgegebener Themen. „Es gibt vier Standbeine, die ich als Lernkonzept formuliert habe: Spielräume, Spielobjekte, Spielaktionen und lebenslanges Lernen.“ Im achten Semester folgt die Bachelor-Arbeit innerhalb eines vorgegebenen Projektes. Ein Masterstudiengang kann daran angeschlossen werden. Für das zweisemestrige Aufbaustudium ist ebenfalls eine Bewerbung erforderlich. Streben Studierende aus anderen Fachgebieten den Master für Spiel- und Lerndesign an, sind in der Regel allerdings vier Semester verpflichtend. Die zwei Master-Semester setzen sich unter anderem aus einem Tutorial und der eigentlichen Masterarbeit zusammen. Zudem ist ein dreimonatiges Praktikum in einem Unternehmen oder Design-Büro bei der Bewerbung verpflichtend, das viele Studierende zu renommierten Firmen wie Haba, Sigikid oder Goki führt.
Die Burg öffnet viele Perspektiven
Trotz der Konzentrationsprozesse in der Spielwarenbranche ist die Bewerbungszahlen für Spiel- und Lerndesign nach wie vor hoch. „Die Perspektiven nach dem Studium sind gut und nicht nur in der Spielwarenbranche vorhanden“, sagt Karin Schmidt-Ruhland, „weil es uns prinzipiell um die Gestaltung geht und nicht nur um Spielprodukte.“ Wer die Burg absolviert hat, landet u.a. auch in Architektur- und Ausstellungsbüros. Allen, die den Sprung in die Selbstständigkeit wagen oder ein Start-up gründen wollen, bietet die Kunsthochschule mit ihrem Gründerzentrum für ein bis drei Jahre attraktive Konditionen, um durchzustarten. Dazu zählt auch, dass sie die Werkstätten nutzen dürfen. Und noch etwas ist besonders, wenn man sich für die Burg entscheidet. Während sich das studentische (Nacht-)leben in Metropolen wie Berlin in Clubs abspielt, ist der Campus ebenfalls ein Dreh- und Angelpunkt für Get-together-Partys. In einem Party-City-Ranking für mittelgroße Städte landete Halle unlängst auf Platz 1 bei Nachtschwärmern. Ein Studium von Spiel- und Lerndesign scheint sich also auch in dieser Hinsicht zu lohnen.
Studiengang Industriedesign
Studienrichtung Spiel- und Lerndesign
Professorin: Karin Schmidt-Ruhland, Professorin für Spiel- und Lerndesign
Unterrichtssprache: Deutsch
Studienbeschreibung Studienrichtung Spiel- und Lerndesign im Bachelorstudiengang Industriedesign
1. & 2. Semester: Einführung in die gestalterischen und künstlerischen Grundlagen
3. & 4. Semester: Methodische Gestaltungsübungen und Designwissenschaften
5. & 6. Semester: Projektarbeit ergänzt um Exkurse in Praxis & interdisziplinäre Forschung:
Einführung in Psychologie, Pädagogik, Didaktik, Spieltheorie &-geschichte
Abschluss des Studiums mit Bachelorarbeit.
Bewerbung zum Bachelor-Studium: Das 8-semestrige Bachelor-Studium beginnt zum Wintersemester.Ein Studieninformationstag findet im Januar statt. Die Aufnahmeprüfung findet im März statt.Online-Registrierung über das Bewerbungsportal von Dezember 2023 – März 2024 für das Wintersemester 2024/2025.
Bewerbung zum Master-Studium: Die Online-Anmeldung zur Masterbewerbung ist vom 1. April bis 15. Mai für das folgende Wintersemester möglich.
Die Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle
Mit 20 Studiengängen in Kunst und Design zählt die burg zu den größten Kunsthochschulen Deutschlands. Sie bietet für über 1.000 Studierende Bachelor-, Master-, Diplom- und Staatsexamensabschlüsse (Lehramt) an.
Über den Autor
Ulrich Texter machte nach seinem Studium der Psychologie und Philosophie an der FU Berlin das Schreiben zum Beruf. Er hegt eine Vorliebe für Literatur, Jazz und Design. Seit über 20 Jahren begleitet er die Spielwarenindustrie als Chefredakteur für das Fachmagazin planet toys. Sein Faible für Design spürt man, wenn er den Blick auf kleine Schmuckstücke der Spielwarenbranche richtet. Getreu dem Motto „Wir können auch anders“ schafft er als ehrenamtlicher „Kulturimpresario“ mit dem Ostenfelder Leseherbst und den Kinderliteraturpreis „Schlossgeschichten“ kleine Kulturoasen in Bad Iburg.