Große Klasse: Klassensätze für den MINT-Unterricht
Von Peter Thomas
Viele naturwissenschaftliche und technische Zusammenhänge lassen sich sehr anschaulich mit Lernspielzeug entdecken. In der Schule bewähren sich seit Jahrzehnten entsprechende Klassensätze. Manche lassen sich sogar für den Fernunterricht verwenden – das ist derzeit besonders wertvoll.
Einfach auspacken und dann gemeinsam experimentieren, bauen, entdecken: Lernspielzeuge als Klassensätze sind Klassiker des naturwissenschaftlichen Unterrichts. Ihre Themen reichen von der Mechanik und Statik bis zu Energie, Informatik und Mathematik. In den Zeiten von Corona können manche Klassensätze sogar im hybriden Unterricht verwendet werden, sagt Albrecht Betzold. Der Diplom-Kaufmann ist einer von drei Geschäftsführern des Lehrmittel-Spezialisten Betzold GmbH.
„Dann geben die Pädagogen in der Präsenzphase allen Schülern zum Beispiel das Rechenmäppchen für das erste Schuljahr mit nach Hause. Damit erleben die Kinder während der Phase des Distanzunterrichts ihre Lernschritte ganz anschaulich und haptisch. Das stärkt den Bildungserfolg gegenüber einem reinen Bildschirmunterricht“, erklärt Betzold.
Fischertechnik nimmt Klassensätze ins Programm auf
Klassensätze von Lernspielzeugen spielen ihre Vorteile aber nach wie vor besonders beim gemeinsamen Unterricht in der Schule aus – der hoffentlich bald wieder zur Norm wird. Dann können Schülerinnen und Schüler in kleinen Gruppen zum Beispiel in Sachkunde oder Physik an den gleichen Aufgaben arbeiten.
Dafür sind auch die neuen Klassensätze von Fischertechnik konzipiert. Solche Baukästen für den Unterricht ganzer Klassen hat der Hersteller 2021 selbst erstmals ins Programm aufgenommen. „Zunächst bieten wir Sets für die Primarstufe mit Schwerpunkt auf den Klassen 3 und 4 an“, erklärt Marc Schrag. Bei dem deutschen Traditionshersteller von Konstruktionsspielzeugen ist er verantwortlich für den Vertrieb in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Die neuen Klassensätze sind als robuste Boxen ausgelegt, in denen sich 16 Sets für das jeweilige Thema finden. „Die optimale Verteilung sind dabei 15 Zweiergruppen plus Lehrkraft“, sagt Marc Schrag. Erwachsene, die als Kinder selbst mit Fischertechnik-Kästen in der Schule gearbeitet haben (damals vom Lehrmittelhandel zusammengestellt), werden das Konzept sofort wiedererkennen. Allerdings kommen die neuen Klassensätze mit frischen Ansätzen daher. Zu den Themen gehören Getriebe, Elektronik, Solarenergie und Optik.
Mit App und Sphero-Bausteinen lernen Schulklassen Programmieren
Klassensätze für naturwissenschaftlichen Unterricht sind ein internationales Phänomen. Nur dass sie weltweit eher mit dem Label „STEAM“ (Science, Technology, Engineering, Arts, Mathematics) versehen werden als dem deutschen „MINT“ (Mathematik, Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Technik). In den USA bietet zum Beispiel Sphero aus Colorado solche Sets an. Der Hersteller von Lern-, Informatik- und Robotikspielzeugen ist mit Produktreihen wie littleBits und Sphero auf dem Markt vertreten.
„Das littleBits STEAM+ Class Pack“, erläutert Darren Tobin von Sphero, „ist unser ultimatives Lernset für den MINT-Unterricht“. Darin enthalten sind unter anderem 250 elektronische Bausteine. Damit können die Kinder im Unterricht schrittweise ihr Wissen und ihre Fähigkeiten zu Themen wie Programmieren entwickeln. Als Schnittstelle zwischen dem Klassensatz mit elektronischen Elementen und dem Coding dient eine eigene App.
Eitech fördert Phantasie mit Lochstreifen
Weit in die Geschichte des Lernspielzeugs reicht die Tradition des Metallbaukastens zurück. Einst gehörten beispielsweise Schulbaukästen aus dem Klett-Verlag mit Bauteilen von Märklin Metall zum Bestand vieler Werkunterrichtsräume. Ganz aktuell hingegen sind die für den Schulunterricht konzipierten Baukästen von Eitech. Der Metallbaukasten im 10-Millimeter-Raster entstand aus dem „Konstruktion“-System, das in den 1950er-Jahren in Gotha (Thüringen) entwickelt wurde.
Mit dem Schulbaukasten C167 können insbesondere Kinder und Jugendliche im Alter zwischen sieben und 15 Jahren in Werkunterricht, Technik, Physik sowie Materie-Natur-Technik (MNT) arbeiten. Auch in Förder- und Berufsschulen kommt das Set zum Einsatz, erläutert Markus Hildebrandt von Eitech aus Pfaffschwende. Mit Lochstreifen aus Blech, Rädern, Wellen, Getriebeteilen, Schrauben – und mit Phantasie – lassen sich Modelle vom Fahrzeug bis zur Seilbahn bauen. Ein Klassensatz wird aus der entsprechenden Zahl der auf den Unterricht abgestimmten Kästen zusammengestellt.
Rund 100 Klassensätze im Betzold-Programm
Neben den Herstellern von Lernspielzeug selbst bieten auch viele Fachhändler und Verlage Klassensätze für den MINT-Unterricht an. Die Firma Betzold besetzt dabei beide Positionen: „Wir sind nicht nur als Händler kompetenter Bildungsspezialist, sondern zugleich auch Erfinder und Schöpfer von Lehrmitteln,“ sagt Albrecht Betzold. Deshalb ist auch etwa die Hälfte der derzeit rund 100 MINT-Klassensätze im Programm selbst entwickelt und produziert.
Bei der Konzeption von Lernspielzeug für ganze Klassen stehen zwar die Kinder und Jugendlichen immer im Vordergrund. Sie sind aber nicht die einzige Zielgruppe. Denn die Lehrkräfte müssen mit entsprechendem Begleitmaterial versorgt werden, um die Sets optimal im Unterricht einsetzen zu können. Bei Betzold erstellen deshalb Redakteure im Haus die Anleitungen für die Lehrerinnen und Lehrer – Video-Tutorials inklusive. Auch bei Fischertechnik gilt das didaktische Begleitmaterial – inklusive Unterrichtsplänen mit Lehrplanbezug – als extrem wichtig. Es wird von dem Unternehmen aus dem Schwarzwald gemeinsam mit Pädagogen entwickelt.
Über den Autor
Geschichten über Technik und Menschen erzählen: Das fasziniert den Journalisten, Autor, Kulturwissenschaftler und Dozenten seit mehr als 30 Jahren. Technisches Spielzeug steht dabei immer wieder im Fokus, vom Baukasten bis zu interaktiven digitalen Lernspielzeugen. Nach Studium und Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität schreibt Peter Thomas für Tageszeitungen, Magazine und Unternehmenspublikationen im deutschen und englischen Sprachraum. Seine Schwerpunkte neben der Welt des Spiels sind Mobilitäts-, Sicherheits-, Energie- und Medizintechnik.