Schreiben von Hand entfacht Neuronenexplosion

Schreibmotorik Institut forscht, wie Handschreiben die kognitive Entwicklung fördert

Von Anja Kummerow

Schreiben, malen, kritzeln – jedes Mal, wenn ein Kind einen Stift zur Hand nimmt, trainiert es damit nicht nur seine Feinmotorik, sondern steigert vor allem seine kognitiven Fähigkeiten. Beim Schreibmotorik Institut weiß man um die Wirkung und die Bedeutung des Schreibens von Hand. Damit sollte allerdings nicht erst in der Schule angesetzt werden, sondern bereits in den Kitas. Denn mit einfachem Krickelkrakel bekommen Kinder schon früh das so wichtige Gefühl für den Stift. 

Immer mehr Menschen nutzen moderne Medien. Statt Briefen werden Emails geschrieben und Einkaufslisten werden ins Handy getippt. Stirbt das Schreiben von Hand also aus?  „Davon gehen wir beim Schreibmotorik Institut nicht aus“, sagt Tal Hoffmann, Geschäftsführerin des Schreibmotorik Instituts. In Schulen und bei anderen Bildungsträgern weiß man um die Bedeutung des Handschreibens für die kognitive Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Einen Widerspruch zur Digitalisierung sieht das SchreibmotorikInstitut darin nicht. „Beides ist wichtig und lässt sich miteinander verbinden, etwa indem auf digitalen Medien per Hand geschrieben wird – zum Beispiel mit Tablet und Stylus.“

Positive Effekte des Handschreibens sind spürbar

Mit Übungen wie dem Halten einer Wasserflasche bekommen Kinder ein Gespür dafür, wieviel Kraft für verschiedene Gegenstände aufgebracht werden muss.

Die positiven Effekte des Schreibens von Hand können junge Leute in der Regel zwar meist nicht erklären. Aber sie spüren sie. Intuitiv. Viele von ihnen holen in ihrer Freizeit wieder Stifte heraus - freiwillig. Trends wie Handlettering und Journaling haben seit Jahren Konjunktur. Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene merken, dass man Erlebtes anders verarbeiten und sich Dinge besser merken kann, wenn sie handschriftlich notiert werden. Selbst in Unternehmen, die sehr digital arbeiten, werden viele Prozesse erst einmal „mit der Hand gedacht“ – also mit dem Stift zu Papier gebracht.

„Der Einsatz von über 30 Muskeln und 17 Gelenken in Armen und Händen beim Schreiben hilft beim Verstehen, beim Erinnern, beim Strukturieren von Gedanken und bringt auf neue Ideen“, erklärt Wissenschaftlerin Hoffmann. Während beim Tippen nur ein Teil des Gehirns aktiviert wird, findet beim Handschreiben jedes Mal eine regelrechte Neuronenexplosion im Kopf statt. Weil jeder Buchstabe einzigartig ist, legt das Gehirn beim Schreibenlernen  dafür eine eigene Gedächtnisspur an, die auch beim Lesen aktiviert wird. Vereinfacht lässt sich sagen: Das Schreiben von Hand macht schlauer.

Immer mehr Kinder haben Probleme

Den Stift richtig zu halten ist die Grundvoraussetzungen dafür, dass das Malen und Schreiben Spaß macht.

Zugleich fällt es Kindern und Jugendlichen aber immer schwerer. „Jedes dritte Mädchen und sogar mehr als jeder zweite Junge in der Grundschule in Deutschland hat Probleme beim Schreiben von Hand“, sagt Tal Hoffmann. „Nur zwei von fünf Schülern in der Sekundarstufe können 30 Minuten und länger beschwerdefrei schreiben. Viele klagen über Schmerzen, Verkrampfungen und Ermüdungserscheinungen, immer mehr Kinder müssen deshalb bereits einen Ergotherapeuten aufsuchen.“ Das haben die STEP-Umfragen ergeben, die das Schreibmotorik Institut gemeinsam mit dem Verband Bildung und Erziehung VBE mehrfach durchgeführt hat, zuletzt im Jahr 2022. STEP steht für Studie über die Entwicklung, Probleme und Interventionen zum Thema Handschreiben. 

Kritzelpatinnen und -paten gesucht

Der Smiley auf dem Fingergelenk zeigt an, ob der Stift zu fest und verkrampft gehalten wird. In diesem Fall geht dem Smiley das Lachen verloren.

Um bereits früh etwas gegen Schreibprobleme und den damit verbundenen Frust zu tun, geht das Schreibmotorik Institut neue Wege. Mit seiner Initiative „Kritzelpate“ will es Vorschulkindern durch einfache Übungen die Freude am Schreiben beziehungsweise erst einmal am Krickelkrakel vermitteln. Unterstützt werden sie dabei von ehrenamtlichen Kritzelpatinnen und -paten, die in Kitas den Kleinen den Umgang mit Stift und Papier nahebringen. Dafür sucht das Schreibmotorik Institut aktuell in sechs Regionen – Nürnberg, Nürnberger Land, München, Regensburg, Weimar und Ludwigsfelde – Menschen, die sich sozial engagieren möchten. Dafür gibt es Kooperationen mit Freiwilligenagenturen und weiteren Einrichtungen. Gefördert wird das aktuelle Pilotprojekt bis Ende 2024 von der Deutschen Stiftung für Ehrenamt und Engagement. 

„Gut von Hand schreiben zu können, hat drei Aspekte: Leserlichkeit, Schreibtempo und Ausdauer“, erklärt Tal Hoffmann. Der Stift sollte dafür leicht und locker in der Hand liegen. Und auch eine gute Sitzhaltung ist wichtig: aufrecht, die Füße auf dem Boden. „Auf der Internetseite des Schreibmotorik Instituts gibt es dazu auch kostenfrei Übungen, die wir aus unseren Forschungsarbeiten evaluiert haben. Es geht um die Entwicklung einer lesbaren und flüssigen Handschrift.“

Alles eine Frage der Übung

Auch das Zerknüllen von Papier fördert die Feinmotorik. Weitere Übungen bietet das Schreibmotorik Institut kostenfrei auf seiner Webseite an.

Das kann jeder lernen. Es ist eine Frage der Übung. Damit Kinder signifikant besser und schneller schreiben, genügt bereits eine Stunde schreibmotorisches Training pro Woche. Dafür hat das Schreibmotorik Institut aus seinen Forschungsarbeiten eine Reihe von Übungen evaluiert, die es auf seiner Internetseite kostenfrei zur Verfügung stellt.

Empfehlungen, ob Schreib- oder Druckschrift gibt das Institut allerdings nicht. Das Verbinden der Buchstaben erfüllt jedoch einen bestimmten Zweck. Dadurch wird die Handschrift flüssig, folgt einem bestimmten Rhythmus und das Schreiben geht zügiger von der Hand. „Der Prozess des automatisierten Schreibens – also, dass nicht mehr darüber nachgedacht werden muss, wie man etwas schreibt – ist ohnehin erst in einem Alter von 15 bis 16 Jahren abgeschlossen. Erst dann kann man sich auf den Inhalt konzentrieren.“ Wer fit im Handschreiben ist, erbringt bessere schulische Leistungen und hat damit auch bessere Zukunftschancen. „Dass Kinder beim Schreiben auf der Linie bleiben oder den Bogen eines G perfekt hinbekommen, ist dabei nicht mehr wichtig. Schönschreiben ist out. Was in ist – und bleibt – ist Leserlichkeit.“

Schreibmotorik Institut

Das unabhängige Schreibmotorik Institut mit Sitz in Heroldsberg ist das führende Forschungsinstitut in Europa zum Thema Handschreiben und Schreibmotorik vom Kindergarten bis zum Berufsleben. Seit 2012 sorgt der gemeinnützige Verein für den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die pädagogische Praxis. Auf dieser Basis entwickelt das Institut Lehr- und Lernmaterialien, berät Bildungsakteure und veranstaltet Seminare. Es verbindet das Thema Handschriftentwicklung mit dem Bildungsbereich sowie mit gesellschaftlichen und gesundheitlichen Fragen. 

Über die Autorin

Anja Kummerow hat als Wirtschaftsredakteurin der Nürnberger Zeitung mehr als 20 Jahre lang über Nürnbergs spannende Unternehmen sowie viele interessanten Messen wie die Spielwarenmesse berichtet. Seit 2020 ist sie selbstständig als Journalistin, Redenschreiberin und Buchautorin. 

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