SPIEL 2024 in Essen: Bühne für die internationale Spielekultur
Ein Einblick in die Spieleneuheiten aus aller Welt
Von Peter Neugebauer
Es ist faszinierend, wie Verlage aus nah, fern und ganz fern analoge Spielideen entwickeln und vermarkten. Auf der SPIEL 2024 in Essen zeigten Anbieter aus 52 Ländern eine Vielfalt an Gamedesign, wie sie allein auf nationaler Ebene nicht denkbar ist. Bei genauem Blick wird deutlich, dass sich Kultur und Ideenreichtum in den Spielen widerspiegelt. Eine faszinierende Welt tut sich auf.
Kultur und Natur
Vergnügen im Freizeitpark. Plotmaker Games ist in Dänemark beheimatet, in der Hauptstadt Kopenhagen. Dort befindet sich einer der ältesten und bekanntesten Freizeitparks weltweit. Wie dieser, so heißt auch das familienfreundliche Spiel: Tivoli. Jeder erlebt den Park auf eigene Weise. Die Besucher können sich gemütlich über urige Wege treiben lassen und mancher Leckerei nicht widerstehen. Andere werden eher die vielfältigen Attraktionen nutzen und mit Karussellfahrten ordentlich Spaß haben. Würfelgesteuert setzen die Spieler Schwerpunkte und zählen am Ende Siegpunkte für erlebte Aktivitäten.
Explodierendes Feuerwerk. Eine Attraktion mit Anziehungskraft für die Massen sind illuminierende Raketen am nächtlichen Himmel. Da sticht das Spektakel zum chinesischen Neuen Jahr besonders hervor. Die Franzosen Alexandre Aguilar und Romaric Galonnier mit der Illustratorin Apolline Etiènne von Two Manta widmen sich in Spring Festival diesem imposanten Schauwert. Jeder bastelt am eigenen Arrangement von feurigen Raketen. Diese müssen geschickt zusammengesetzt werden, dass es beim Zünden zu Kettenreaktionen kommt. Wenn dann das Firmament in farbigen Explosionen erblüht, bringen bestimmte Formationen extra Punkte. Immer und immer wieder.
Auf Fotosafari im Amazonas-Dschungel. Das Gegenteil der künstlichen Freizeitparks sind die naturbelassenen Reservate, die gerne touristisch besucht werden, um Tierbeobachtungen im Bild festzuhalten. Im Amazonia Park von Reiner Knizia, veröffentlicht von Korea Boardgames, aus Süd-Korea, wird das auf exotische Weise spielerisch umgesetzt. Im südamerikanischen Dschungel sind die Spieler unterwegs, um die Schönheiten von Fauna und Flora fotorealistisch festzuhalten. Zur rechten Zeit am richtigen Ort zu sein, ist die Aufgabe eines jeden Naturfotografen. Dazu gehört Glück sowie die Intuition für den Augenblick, wann das passende Tierkärtchen auftaucht. Ganz wie in der Natur selbst.
Mit Wölfen heulen. In einem anderen Ökosystem, den Landschaften Nordamerikas, sind Wölfe zu Hause. Sie streifen in Lone Wolves von Yasuyuki Nakamura und Anthony Perone, veröffentlicht von Wonderful World Board Games aus Taiwan, durch Steppen und Wälder und versuchen zum Alphatier des eigenen Rudels aufzusteigen. Dabei kommt es immer wieder zum Gerangel mit gegnerischen Isegrimms. Der Sieger steigt in der Hierarchie auf, der Unterlegene trottet mit einer Narbe davon. Spielmechanisch wird ein 2-Personen-Stichspiel ungesetzt. Dabei gibt es Tricks und Boni, die erkundet werden wollen, um sehr treffsicher eingesetzt zu werden. Das Alphatier beherrscht drei von fünf Gebieten.
Neubeginn und Wiederaufbau
Ein Neuanfang. Nach fulminantem Niedergang befindet sich die Welt im Wiederaufbau. Rebirth von Reiner Knizia, veröffentlicht vom maltesischen Anbieter Mighty Boards greift dieses Szenario auf. Der Schauplatz ist Schottland. Die zerstörten Burgen und Schlösser werden erneut aufgebaut. Plättchen müssen strategisch auf dem Plan platziert werden, um farbenfrohe Turmzinnen zu errichten. Das gibt Hoffnung für eine Zukunft in einer runderneuerten Welt, in der die Gesellschaften in Harmonie miteinander und mit der Natur leben werden. So ist das Thema des Spiels auch ein Gegenpol zu den fast täglichen Schreckensmeldungen unserer Wirklichkeit.
Ein Kontinent wird geboren. Meng Chunlin von Dranda Games schickt Abenteurer als Explorers of Navoria in unerforschtes Gelände. Eine neue Landmasse ist dem Meer entsprungen. Ziel ist es, dieses unerforschte Terrain als eigenen Lebensraum zu gewinnen. Wie in den Anfängen der Menschheit muss das Leben gesichert und Zusammenkunft mit unterschiedlichen Völkern erprobt werden. Eine Mischung aus Kartenauswahl (Drafting), Worker-Placement und Gebietsanspruch ist gefordert. Es gilt, ein Gleichgewicht zwischen sofortigen Vorteilen, permanenten Boni und Punkten für die Endwertung zu erzielen.
Cyberpunk hautnah. Guy-Roger Duvert, Benjamin Sjöberg und Cyril Villalonga der schweizerischen Board Game Box verführen in Virtual Revolution in diese düstere Welt. Nach missglückter technologischer Revolution versinkt alles im Chaos. Realität und Scheinwelt sind nicht mehr zu unterscheiden. Konzerne steuern virtuelle Universen. Wer sie beherrscht, hat Macht. Die Spieler versuchen, die Gesellschaft in ihre Cyber-Welt zu treiben. Das ist ein böses Spiel. Aber Terroristen und Interpol sind mächtige Gegenspieler, die die Suppe versalzen. Worker-Placement geschieht hier anders. Eingesetzte Direktoren haben Einfluss auf Gebiete und sind an verschiedene Möglichkeiten gekoppelt, Karten oder Marker auszulegen. Es geht hart zur Sache. Ein echter Fight.
Wissenschaft und Fortschritt
Das Unbewusste. Auf den Spuren von Siegmund Freud und seiner Theorie der Erforschung des Unconscious Mind begeben sich die Spieler als Wissenschaftler auf den Weg, Patienten mit Traumata zu heilen. Der auf Zypern ansässige Verlag Fantasia bietet in seinem Kartenspiel Dreamworld die Möglichkeit, es den großen Psychoanalytikern gleichzutun. Das Spiel von Jonny Pac ist illustriert von Vincent Dutrait und Andrew Bosley. Insgesamt 66 Traumbilder können die Klienten ereilen. Diese müssen mit vereinten Kräften behoben werden. Dabei geht es eher profan um Zahlenwerte, die den Erfolg spiegeln. Die alles überragenden Traum-Illustrationen und das seines Gleichen suchende Thema machen das Spiel allerdings zu etwas Außergewöhnlichem.
In den Weiten des Weltalls. Gibt es dort fremde Lebensformen? SETI von Tomáš Holek, veröffentlicht vom tschechischen Hersteller Czech Game Edition, spürt dieser Frage nach. Die Suche nach außerirdischer Intelligenz beflügelt seit Jahrzehnten Forscherdrang. In einem dynamischen Spiel-Setting erforschen die Spieler das All und bedienen sich als Leiter einer Forschungsagentur der neuesten Technologien. Gesteuert wird das Spielgeschehen durch einen dicken Kartenpack, der reale Erkenntnisse aufgreift und wegen der Fülle an Material jedes Mal einen anderen Ablauf verspricht. Die Karteneffekte sind ebenfalls variantenreich und garantieren den Wiederspielwert.
Abstrakte Ideen
Gehwege pflastern. Konstantinos Korogiamnis und Vangelis Bagiartakis haben sich für Calçada von den mosaikartigen Pflastersteinen auf Portugals Bürgersteigen inspirieren lassen. Illustriert hat Felix Wermke das bei dem österreichischen Hersteller Piatnik veröffentlichte Spiel. Zunächst wählt der aktive Spieler einen Stein und eine Farbe aus einem gemeinsamen Rondell-Pool in der Tischmitte. Dabei hat seine Wahl Auswirkung auf den Folgespieler. Das ist ein gelungenes interaktives Moment. Dadurch gewinnt er ein Musterkärtchen, das auf dem eigenen Tableau abgelegt wird. Das alles geschieht nicht beliebig, sondern zielgerichtet, um Pflastersteine geschickt zu arrangieren. Sowohl Taktik als auch Strategie sind gefordert.
Pyramidenbau. In Yaxha von Baptiste Vaiana mit Illustrationen von Julien Bigot, veröffentlicht vom schweizerischen Hersteller Helvetiq, werkelt jeder an einer 3D-Pyramide. In Anlehnung an die Vorbilder der Mayas errichten die Spieler die Gebäude auf einem rechteckigen Grundriss. Stufenförmige Quader werden geschichtet. Das alles ist nicht in ein Themenspiel eingebettet, sondern folgt dem abstrakten Pyramidenbau. Stets wird auf drei Bauklötze in einem zufälligen Farbenmix geheim geboten. Die Steinchen müssen dann in die Pyramide eingebettet werden, um ordentlich Punkte zu erzielen. Z.B. ist eine lange Farbreihe ein mögliches Ziel. Jeder muss auf das momentane Angebot reagieren, wie auf das ferne Ziel, die fertige Pyramide, achten.
Dame auf Arabisch. Das Dame-Spiel ist in vielen Erdregionen ein Klassiker. Auf der arabischen Halbinsel wird es gerne auf Straßen und Plätzen gespielt, indem die beiden Kontrahenten ein 8x8-Felderraster auf den Boden ritzen und mit Steinchen als Setzfiguren losspielen. Bei Dama von Abdulrahman Al-Homaid hat der Verlag Majlis Shabab aus Katar eine Version mit polierten Holzfiguren etabliert. Ähnlich wie bei „Dame“ gilt es auch hier, eigene Figuren auf die gegnerische Grundlinie zu ziehen und sie dort mit einer Krone aufzuwerten. Jetzt kann in alle Richtungen beliebig weit gezogen und geschlagen werden. Allerdings, die singuläre Startaufstellung provoziert Gegnerkontakt von Anfang an.
Spielwarenmesse vom 28. Januar bis 1. Februar 2025
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Über den Autor
Peter Neugebauer ist ein „Spielkind“ durch und durch. In früher Kindheit wurde er durch seine Eltern ans Brettspiel herangeführt. Spiele als Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenk waren obligatorisch und stets gern gesehen. Er hörte auch während des Studiums oder während seiner Berufsjahre nicht auf zu spielen. Schon früh rezensierte er Neuheiten, zunächst in reinen Fachzeitschriften, dann auch in Tageszeitungen und seit fast 40 Jahren in Branchenmagazinen. Ohne Spielen geht’s bei ihm nicht.