Große Gefühle wecken am Point of Sale

So kann der stationäre Spielzeughandel bestehen

Von Peter Budig

Die letzte freie Fläche, die letzte Werbe-Bastion im Spielwaren-Ladengeschäft findet sich unter der Decke. „Wir haben alles optimiert: niedrigere Regale, bessere Musik, angenehme Düfte“, zählt Heinz Lehmann auf. Alles für ein einziges Ziel: „Im Einzelhandel musst Du Emotionen wecken, Gefühle verkaufen – nur so kannst du Menschen dazu bewegen, zu dir zu kommen, nur so den Umsatz steigern.“ Und so kam Lehmann, seit Jahrzehnten Spielzeugladenbesitzer im Frühjahr 2022 auf die zündende Idee, als er in einem trendigen Bäder-Geschäft einen magisch leuchtenden Whirlpool entdeckte. „Die graue, triste Decke muss weg“, dachte er und gesagt, geschafft (er ist ja gebürtiger Schwabe, die tun nicht, die schaffen) –hat er ein visuelles Konzept entwickelt.

Nur mit kreativen Erlebnis-Ideen hat der analoge Spielzeughandel eine Chance

Ein Marketing-Tausendsassa: Heinz Lehmann am Abend beim Männer-Event. Foto: Till Hein

Mit eigenwilligen und sehr erfolgreichen Marketing-Ideen hat der Spielwarenhändler Heinz Lehmann sein Leben lang gegen den Trend gebürstet und trotz widriger Umstände immer wieder überraschende Erfolge gefeiert. Mitte der Achtziger Jahre, als Toys „R“ Us die ersten Filialen in Deutschland eröffnete und den kleinteiligen stationären Spielzeughandel enorm unter Druck setzte, reagierte er als Geschäftsführer einer Großhandelsgruppe und entwickelte auf 1.500 Quadratmeter Ladenfläche eine Spielwarentraumwelt. Nach der Wiedervereinigung kaufte er 1990 einen Spielzeug- Großhandel und eröffnete in den Neuen Bundesländern Spielwarenläden mit Flächen zwischen 200 und 1.500 Quadratmetern; „idee+spiel“, diese Verbindung brachte ihn nach vorn. Als das Internet mit seinen unkomplizierten Verkaufsangeboten die Welt eroberte, sah er die Möglichkeit, neue Verkaufswege zu beschreiten und gründete 1994 die erste Spielwaren-Online Handelsfirma in Deutschland. 

Dennoch, die die allgemeine Branchenanalyse fällt bis heute ernüchternd aus: Trotz kontinuierlich steigender Umsätze im deutschen Spielwarenhandel – seit 2012 beträgt der jährliche Zuwachs etwa 5% –, ist der Spielwareneinzelhandel heute mehr denn je vom Aussterben bedroht. Dies wurde ebenso verstärkt durch die Corona bedingten Ladenschließungen. Gleichzeitig gewinnt der Onlinehandel immer mehr an Bedeutung. So analysiert der Strategieberater FOSTEC & Company, der seinen Schwerpunkt auf Digitalisierung und E-Commerce setzt, die Lage. „Im Bekleidungsgeschäft sucht man vielleicht noch Fachberatung, doch um ein Brettspiel zu kaufen, reicht ein Klick“, hat auch Lehmann nüchtern erkannt. 2009 überlegte er sich dann, wie er mehr Öffentlichkeit erreichen und gleichzeitig die Kosten für Werbung drastisch senken könnte. Und er hatte eine verblüffende Idee: „Spielen im Spielzeugladen“. 

Wettkampfspaß im Spielzeug-Laden: Mehr Winwin geht nicht

Kickern, Knobeln, Kräftemessen – alles was echten Kerlen Spaß macht. Foto: Heinz Lehmann

„Klein Las-Vegas in Hannover?“ Der Slogan aus den Medien ist vielleicht ein wenig übertrieben, doch Tatsache ist, dass Heinz Lehmann mit einem Konzept „Männerträume werden wahr“ eine neue Einnahmequelle kreiert und eine solide Basis für sein Spielwarengeschäft gefunden hat. Er installierte im Spielzeuggeschäft einen Spiele-Wettkampfparcours mit elf Stationen, die Männerherzen höherschlagen lassen: Kicker, Boccia, Carrera-Rennen, Roulette, Poker, Geschicklichkeitsspiele … Dazu Flaschenbier und Softdrinks, kleine Snacks, fertig war das Eventkonzept aus Wettkampf, Leidenschaft, Vergnügen … Die Teilnahme kostet heute 45 Euro. Gleichzeitig können bis zu 96 Personen teilnehmen – und es werden Abend für Abend wahre Helden gesucht und gefunden. Anfangs galt dieses Angebot nur für Männer, doch auch Frauen waren damals schon sehr begeistert – sie hatten das perfekte Geschenk für ihren Liebsten. Heute, und nach dem Umzug des idee+spiel-Ladens von Hannovers Fußgängerzone in die Calenberger Esplanade etwas außerhalb der Innenstadt, sind auch Frauenevents an der Tagesordnung. Entscheidend ist in allen Fällen, so Lehmann, dass „die Events nur im Kontext des Spieleladens dauerhaft funktionieren, während der Umsatz im Spielzeuggeschäft gestiegen ist und sich stabilisiert.“ Mehr Winwin geht nicht.

Laden und Events – eine feste Burg – bis Corona

Der Himmel im Spielzeugladen Foto: Heinz Lehmann

Die Idee ging doppelt auf, denn auf diesen Zug sprang auch die Presse auf, erst lokale Printmedien, dann Radio und lokales Fernsehen, dann die großen Magazine, Fernsehsender von RTL bis arte. Heinz Lehmanns Spielzeug-Eventhaus war in aller Munde. Werbetechnisch ein Scoop und die Umsätze der Events zahlten die Miete fürs Spielwarengeschäft. Der 72-jährige Unternehmeraktivist kümmerte sich mit seinem Team um die Nachmittags- und Abend-Veranstaltungen, die auch von immer größeren Firmen gebucht wurden. Sein Kompagnon Schäfer, leidenschaftlicher Spielwarenhändler, organisiert den Laden. Eine feste Burg, diese Gemeinschaft. Bis Corona.

Die nächste zündende Idee: Bilderträume an die Decke

Wie könnte er nach den Einschränkungen der Pandemiezeit neue Aufmerksamkeit kreieren? Wie erneut die Öffentlichkeit mobilisieren? Große Gefühle wecken? Vor dieser Aufgabe stand Heinz Lehmann Ende 2020. Getreu seiner Erfahrung „beste Werbung ist mediale Öffentlichkeit“ suchte er nach neuen Chancen. Doch wie kommt man erneut auf solch einen Coup? Mit bewährtem Instinkt und professionellen Werbepartnern ersann Lehmann die nächste Idee: Er entwickelte eine Foto-Lichtshow für die graue Spielwarenladendecke. „Im Frühjahr waren es Natur- und Landschaftsbilder, sie wurden ausgetauscht gegen Sommerimpressionen und inzwischen beleben gefühlvolle Weihnachtsszenarien das Geschäft.“ Was soll man sagen: „20 Prozent Umsatzplus im stationären Spielzeughandel und die Events sind eh hochgeschossen“, strahlt Heinz Lehmann, dem man abnehmen darf, dass der Gewinn ihn ebenso freut wie die Tatsache, dass er wieder mal mit kreativen Einfällen gegen den Trend erfolgreich war.

Interview mit Heinz Lehmann

Arte strahlte am 15.12.2020 ein Interview mit Heinz Lehmann und seinem Geschäftspartner Volker Schäfer aus.

Über den Autor:

Peter Budig hat Evangelische Theologie, Geschichte und Politische Wissenschaften studiert. Er war als Journalist selbstständig, hat über zehn Jahre die Redaktion eines großen Anzeigenblattes in Nürnberg geleitet und war Redakteur der wunderbaren Nürnberger Abendzeitung. Seit 2014 ist er wieder selbstständig als Journalist, Buchautor und Texter. Storytelling ist in allen Belangen seine liebste Form.

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