Die Würfel sind gefallen: Neuheiten für Kidults
Von Peter Neugebauer
Es ist längst nichts ungewöhnliches mehr, dass sich Erwachsene für Brettspiele interessieren, sich ja sogar dazu bekennen. Spieleabende finden regelmäßig statt. Spieleevents werden landauf landab besucht. Gesucht von den Konsumenten und angeboten durch die Verlage gibt es eine Vielzahl analoger Spiele. Sie werden gerne aufs Neue ausprobiert, um andere Strategien zu erkunden. Die Vielzahl der Mechanismen ist breit gestreut und die Themen so mannigfaltig wie das Leben. Kidults erfreuen sich gerne an neuen Herausforderungen.
Gewiefte Familienspiele
Ökosystem Wald. In „Mischwald“ von Lookout Spiele werden Buchen, Eichen, Tannen gepflanzt. Das ist die Basis für Fauna und Flora. Am Stamm der Bäume gedeihen Pilze, Farne, auch Erdkröten fühlen sich heimisch. In den Baumkronen flattern Vögel, Schmetterlinge oder Eichhörnchen klettern durchs Geäst. Hirsche, Luchse, Marder suchen Schutz im Schatten der Baumstämme. Jeder baut seinen Mischwald durch die Auslage von Karten. Diese sollten zueinander passen. Der Wolf als Jäger benötigt Fresstiere. Jeder konstruiert sein Ökosystem, das um so mehr punktet, je abgestimmter die Kartenauslage ist. Die Vielzahl der Waldbewohner macht es nicht einfacher.
Klimawandel. Die Anforderungen durch Umweltverschmutzung müssen gemeistert werden. In „e*Mission“ von Schmidt gehen die Spieler die Mammutaufgabe kooperativ an. Als Vertreter einer Großmacht nutzt jeder seinen Einfluss zur Reduzierung des weltweiten CO2-Ausstosses. Überschüssige Emissionen steigern die Temperaturen und erhöhen die Wahrscheinlichkeit globaler Krisen. Wenn die Weltmächte durch ihr Handeln nicht gegensteuern, wird der Kipppunkt erreicht, bei dem es kein Zurück mehr gibt. Ein pfiffiges Karten-Legesystem und Tabellen mit bedrohlich vor Augen führenden Konsequenzen verdeutlichen, was zu tun ist. Gemeinsam ist es möglich.
Spekulation an der Börse. „Black Friday“ von 2F-Spiele simuliert das Geschehen am Aktienmarkt. Den Marktgesetzen folgend, investiert jeder in verschiedene AGs. Ist die Nachfrage gering, weil schon viele Wertscheine einer Farbe im Umlauf sind, sinken die Preise und vice versa für hohes Interesse an einer bestimmten Gesellschaft. Durch Kauf spekuliert jeder auf steigende Kurse, die erst zeitlich verzögert eintreten. Eine sichere Bank ist Gold. Dummerweise steigen hier die Preise stetig. Frühes Investment lohnt, bindet aber Liquidität. Das Auf und Ab an der Börse wird realistisch abgebildet und generiert die Spannung. Jeder beeinflusst das Marktgeschehen im eigenen Sinne, hoffentlich erfolgreich.
Pfiffige Kennerspiele
Feudales Japan. In der Provinz Himeji thront die mächtige Burg des „Weißen Reihers“ über der Stadt. Das Geschehen am Hofe wird in Kosmos „Die Weiße Burg“ nachvollzogen. Es sind drei Orte von wichtigem Interesse: Die Übungsplätze, die Gärten und das Innere der Festung selbst. Überall sollten die Gefolgsleute präsent sein und ihre Ränke schmieden, um letztendlich höchstes Ansehen vor dem Provinzfürsten zu erringen. Ein ungewöhnlicher Würfel-Einsatz-Mechanismus, der Stapeln erlaubt, steht genauso im Fokus wie der Umstand, dass jedem nur neun Züge als Handlungsoption zur Verfügung stehen. Diese generieren zunehmend längere Kettenzüge. Jede Handlung will bedacht sein.
33 n. Chr. In Jerusalem wird ein Mann gekreuzigt, der die Welt wie kein Zweiter verändert hat. In den Turbulenzen dieser Zeit spielt „Ierusalem – Anno Domini“ von Strohmann Games. Der charismatische Prediger Jesus von Nazareth versammelte Jüngerinnen und Jünger um sich. Das ist der Plot des Spiels. Jeder verkörpert eine Gemeinschaft, die nah bei ihm, vor allem bei seinem letzten Abendmahl sein will. Ein Gerangel um gute Sitznachbarschaft beginnt. Auf Nebenschauplätzen geht es um Gleichnisse oder die Gesetzgebungen des Sanhedrins, uvm. Alles wird kartenmoderiert. Wer klug ist und Glück hat, sammelt Sets. Das Spiel missioniert nicht, vielmehr unterhält es anspruchsvoll.
Rauer Norden. Wikinger waren nie zimperlich. „Northgard“ von Board Game Box führt das drastisch vor Augen. Das Entdecken neuer Lande ist erste Aufgabe. Das Plündern dieser Ländereien bringt Ressourcen. So gelingt Expansion. Alsbald stehen mächtige Rivalen gegenüber. Der Kampf ist hart, die Inanspruchnahme neuer Territorien erklärtes Ziel. In einem realistischen Eroberungsspiel ist es Szenario, dass sieben asymmetrische Clans antreten und stets für neue Konstellationen sorgen. Wilde Kreaturen machen allen das Leben schwer. Es ist ein harter Überlebenskampf bis schließlich ein Einzelner das ferne Northgard beherrschen wird. Episch, fordernd und leicht bizarr.
Stadt des Silbers. Im 14. Jahrhundert wird in Böhmen Edelmetall abgebaut. „Kutná Hora“ von Czech Games Edition, Vertrieb durch HeidelBär ist Schauplatz. Die Stadt blüht auf. Jeder versucht, seinen Anteil zu erheischen. Im Wechselspiel von Angebot und Nachfrage muss man klug den Markt beobachten. Einfluss auf die Gilden oder öffentliche Gebäude verschafft Vorteile. Letztendlich dreht sich alles um das Schürfen des silbrigen Gesteins. Ein interessanter Marktmechanismus pendelt zwischen wachsender Stadtbevölkerung und steigender Preise. Das ist neu. Der Einsatz von Karten mit Doppelfunktion will gelernt sein. Optisch wie spielmechanisch ein großes Spielvergnügen.
Fuchsige Expertenspiele
Dystopisches Szenario. „Revive“ von Pegasus handelt 5000 Jahre nach der Zerstörung der Menschheit. Eine neue Zivilisation entsteht auf einem vereisten Planeten. Tief unter der Oberfläche liegen Geheimnisse der Vergangenheit. Diese gilt es zu bergen. Als singulärer Stamm mit einzigartigen Fähigkeiten werden Gefolgsmänner angeworben. So individuell aufgerüstet, beginnt die Neubesiedelung. In bewährter Manier baut jeder seine eigene Engine. Neue Optionen kommen sukzessive hinzu, bestehende werden ausgebaut. Alles ist miteinander verzahnt und lässt die Entwicklung elegant voranschreiten. Durch Varianz der einzelnen Spielelemente verläuft jede Partie anders. Das hat seinen Reiz.
Der goldene Tempel. In Indien, in „Amritsar“, von Ludonova, Vertrieb Asmodee steht eine prächtige Kultstätte. Nach Zerstörung wird dieses Heiligtum wieder aufgebaut. Als Gönner spendiert jeder dem Maharadscha nach seinem Vermögen. Durch den Einsatz von Arbeitern und Elefanten gelingt der Fortschritt. Dabei wird als Mechanismus die für komplexe Spiele ungewöhnliche Mancala-Idee verwandt. Arbeiter werden genommen und einzeln verteilt. Sie lösen auf dem Zielfeld Aktionen aus. Die behäbige Bewegung der Dickhäuter bedarf gutes Timing, damit sie zur rechten Zeit am gewünschten Ort verbleiben. Es gibt viel zu bedenken bei diesem schön ausgestatteten Spiel.
Mafia-Kampf auf Sizilien. „La Famiglia – The Great Mafia War” von Feuerland lässt niemanden im Unklaren. Es geht um Macht, die äußerst hart durchgesetzt wird. Ein Gangsterkrieg ist nie zimperlich. Hinterhalte werden gelegt, Gegner von der Platte geputzt, eigene Interessen durchgesetzt. Außergewöhnlich ist das Zwei-gegen-Zwei. Es sind immer vier Spieler im Geschehen. Diesen Strippenziehern stehen sechs unterschiedliche Mafia-Familien zur Verfügung. In der Planungsphase werden Kämpfer und Befehle aufgestellt. Danach folgt das Gefecht. Der Mechanismus ist einfach und effektiv. Ganz realistisch sind psychologische Duelle an der Tagesordnung. Die enden häufig blutig.
Über den Autor
Peter Neugebauer ist ein „Spielkind“ durch und durch. In früher Kindheit wurde er durch seine Eltern ans Brettspiel herangeführt. Spiele als Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenk waren obligatorisch und stets gern gesehen. Er hörte auch während des Studiums oder während seiner Berufsjahre nicht auf zu spielen. Schon früh rezensierte er Neuheiten, zunächst in reinen Fachzeitschriften, dann auch in Tageszeitungen und seit fast 40 Jahren in Branchenmagazinen. Ohne Spielen geht’s bei ihm nicht.