Alles Gute zum Equal Care Day am 29. Februar!
Der längst fällige Abschied vom kleinen Unterschied
Von Sibylle Dorndorf
Der „kleine Unterschied“ und seine großen Folgen war einst das Thema der Frauenbewegung. Das ist Jahrzehnte her. Und man möchte meinen, dass genügend Zeit war, um eine Gleichberechtigung der Geschlechter erreichen zu können. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Es gibt noch immer viel zu tun, an vielen Fronten. Eine davon ist die ungerechte Verteilung der Sorgearbeit.
Der Gender Care Gap
Kinderbetreuung, Hausarbeit und Pflege sind nur drei der Care-Aufgaben, die Frauen – meist zusätzlich zu ihrem beruflichen Engagement – leisten. Selbstverständlich unentgeltlich. Dieser kleine, große Unterschied hat einen Namen: Gender Care Gap. Die Erkenntnis ist da, Zahlen liegen zugrunde, allein fehlt es an Konzepten, Sorgearbeit gerecht aufzuteilen. In vielen Teilen der Bevölkerung fehlt es auch am Bewusstsein und der Bereitschaft, dass es hier einen Missstand zu beseitigen gilt.
Das Jahrzehnt der Gleichstellung
300 Jahre werde es noch dauern bis zur weltweiten Gleichberechtigung von Frauen und Männern, so UNO-Generalsekretär António Guterres im Sommer 2023. Tendenz nicht etwa fallend, sondern steigend. Die neue Bundesregierung rief im Herbst 2021 das Jahrzehnt der Gleichstellung aus und setzte sich in ihrem Koalitionsvertrag zum Ziel, die Gleichstellung von Männern und Frauen noch in diesem Jahrzehnt, also bis 2030 zu erreichen. Doch sind wir weit entfernt von dem im Grundgesetz, Artikel 3 bereits 1949 festgelegten Ideal der Gleichberechtigung. Und so stellt sich die Frage: Warum sind wir nicht längst weiter? Woran liegt es, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten so wenig substanziellen und nachhaltigen Fortschritt erzielt haben?
Das Ziel: Eine gerechte Gesellschaft
Die faire Verteilung der Sorgearbeit ist die Grundvoraussetzung für eine gerechte Gesellschaft. Oft erreicht man ein Umdenken, wenn man mittels einer aufmerksamkeitsstarken Idee in die Öffentlichkeit geht, die zum Ziel hat, wach zu rütteln, sensibler zu werden, sich zu engagieren. Eine solche Möglichkeit wurde mit dem Equal Care Day geschaffen, der 2016 von Almut Schnerring und Sascha Verlan initiiert wurde. Dieser Aktionstag wird am 29. Februar, dem kalendarisch unsichtbaren Tag, gefeiert. Das beziehungsreiche Datum thematisiert die ungleiche Verteilung von Sorgearbeit und ihre Auswirkungen.
Der unsichtbare Tag in Zahlen
Die Festlegung auf den 29. Februar symbolisiert das Verhältnis von 4:1 bei der Verteilung von Care-Arbeit und weist darauf hin, dass Männer rechnerisch etwa vier Jahre bräuchten, um so viel private, berufliche und ehrenamtliche Fürsorgetätigkeiten zu erbringen wie Frauen in einem Jahr. Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, Hausarbeit, Ehrenamt: Frauen wenden allein pro Tag im Durchschnitt 52,4 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf als Männer. Dieser Unterschied, der bereits erwähnte Gender Care Gap, ist ein Indikator für Gleichstellung.
Initiativ werden, mitmachen, verändern
Die Equal Care-Initiative sowie der gleichnamige Aktionstag wurden von Almut Schnerring und Sascha Verlan ins Leben gerufen. Beide arbeiten im Team freiberuflich als Medienschaffende und schreiben Bücher. Sie halten Vorträge, geben Workshops, bieten Fortbildungen an – und kämpfen gegen ungerechte Rollenverteilung und Rollenklischees. Auch als Paar: Almut Schnerring und Sascha Verlan versuchen immer wieder neu, sich die Arbeiten rund um Kinder, Küche, Kloputz und Krankheit so fair aufzuteilen wie ihre Erwerbsarbeit.
Das Equal Care-Manifest
Bekannt – nicht zuletzt in der Spielwarenbranche – wurden Schnerring und Verlan durch ihr Buch „Die Rosa-Hellblau-Falle“. Im Zuge der Arbeit für dieses Buch entstand die Idee für den Equal Care Day. Denn irgendwie hängt alles zusammen, weiß Almut Schnerring: „Das ist richtig. Eine der Forderungen in unserem Equal Care-Manifest lautet: "Eine geschlechter-, care- und diversitätssensible Pädagogik entlang der gesamten Erziehungs- und Bildungskette. Analog zur Erwerbsbiographie muss der Aufbau einer Care-Biographie als Bildungsziel eingeführt werden. Und da sehen wir auch die Spielwarenindustrie in der Verantwortung.“
Spielwarenindustrie übernimmt Rollenklischees
Wie können sich Unternehmen der Spielwarenbranche beim ECD engagieren? Sascha Verlan findet klare Worte: „Solange Puppen und Spielsachen rund um Haushalt, Körperpflege, soziales Miteinander et cetera an Mädchen adressiert werden und die Spielwelten für Jungen sich um Abenteuer, Fahrzeuge und Technik drehen, werden die Rollenbilder und damit der Gender Care Gap weiter verstärkt. Überspitzt formuliert arbeitet die Spielwarenindustrie hier in weiten Teilen gegen die Bildungspläne der Bundesländer und gegen Artikel 2 des Grundgesetzes, der eine freie Entfaltung der Persönlichkeit verspricht.“ Das ist nicht von der Hand zu weisen, aber man muss auch sehen und anerkennen, dass sich aktuell in der Spielwarenbranche viel verändert.
Der Generationswechsel bringt Neuorientierung
Es ist ein Generationswechsel im Gange – daraus resultierend fühlen sich die Unternehmer verstärkt der gesellschaftlichen Neuorientierung verpflichtet. Das bejaht Almut Schnerring: „Wir sehen durchaus erfreuliche Ansätze, allerdings ist die Mehrheit der Unternehmen noch in starren Rollenbildern verhaftet, was sich in den Regalen der Spielwarengeschäfte widerspiegelt. Das gilt insbesondere für den Haushalts-, Familien- und Sorgebereich. Dort kommen in Farbgebung, Ansprache und Bebilderung kaum Jungs vor. Ergo lernen sie, verstärkt durch Medien und erwachsene Vorbilder, dass dieser Bereich nicht für sie gedacht ist. Und die Mädchen beginnen zu akzeptieren, dass genau da ihr Platz zu sein scheint. Das sind Bilder, die wir schleunigst überwinden sollten. Und gerade die Spielwarenindustrie kann einen großen Anteil leisten.“
Rollenbilder aufbrechen – Tradiertes hinterfragen
Wenn man sich in der Branche umsieht, wird augenfällig: Diesen Vorwurf müssen sich viele der Unternehmen gefallen lassen. Dazu Almut Schnerring: „Es geht hier nicht um Schuld! Die Verhältnisse sind so, wie sie sind, und wir alle sind in dieses System hineingewachsen. Vielleicht hätte man*frau schon früher gegensteuern können und sicher wäre es hilfreich gewesen, anders erzogen worden zu sein. Der Vorwurf ist in die Zukunft hinein gerichtet: Wer sich heute selbstgefällig zurücklehnt, muss sich für das eigene Nichthandeln rechtfertigen. Denn was jemand nicht gelernt hat als Kind, lässt sich nachholen.“
Teilhabe und Engagement gefragt
Was können Unternehmen, die sich im Rahmen und Umfeld des Equal Care Day engagieren wollen, tun? Gefragt sind die Initiatoren Almut Schnerring und Sascha Verlan: „Der Equal Care Day bietet viele Möglichkeiten der Zusammenarbeit und Kooperation. Wir sind als Initiative das ganze Jahr über mit verschiedenen Projekten aktiv. Unser Motto: Nach dem ECD ist vor dem ECD.“
Position beziehen – sich aktiv einbringen
Die aktuelle Kampagne für den Equal Care Day 2024 heißt: #geschenkterTag und geht der Frage nach, wie der kommende Schalttag – bislang ein zusätzlicher Arbeitstag, für den keine gesonderte Entlohnung vorgesehen ist – gemeinsam genutzt und gestaltet werden kann. Almut Schnerring und Sascha Verlan haben dazu einige Vorschläge und freuen sich über Austausch und Beteiligung.
Im Austausch Bewusstsein schaffen
Ebenso wichtig ist, sich im eigenen Team und Unternehmen mit Rollenbildern, der ungleichen Verteilung von Sorgearbeit und der eigenen Verantwortung zu beschäftigen. Alle sollten sich die zentrale Frage stellen: „Welchen Anteil habe ich selbst an der Reproduktion und Verfestigung von Rollenbildern?“ Es geht nicht nur darum, das Programm zu erleben. Es besteht die Möglichkeit, sich mit Menschen aus Politik, Wissenschaft sowie mit Betroffenen auszutauschen, zu vernetzen und Teil der Equal Care Bewegung zu werden. Denn die faire Verteilung der Sorgearbeit ist die Grundvoraussetzung für eine gleichberechtigte Gesellschaft.
365 Tage und ein geschenkter Tag
Im Schaltjahr 2024 ist der Equal Care Day am 29. Februar ein geschenkter Tag.
Wie Unternehmen den Tag solidarisch gestalten können:
- 50 Prozent des Tages für ein firmeninternes Projekt nutzen: ein Fortbildungsangebot, eine Veranstaltung, die das Themengebiet Care aufgreift.
- 50 Prozent der Zeit den Mitarbeitenden zur Verfügung stellen: für Care und Selfcare, für Ehrenamt und soziales Engagement, für (Fort-) Bildung und für Menschen in ihrem Umfeld
- Mitmachen im Rahmen einer Kooperation: Offizielle Kooperationspartner werden auf der ECD-Website werden und in den Social Media Kanälen und im Newsletter erwähnt werden.
- Care-Verein unterstützen: Einen symbolischen Anteil vom Wert der Arbeitszeit, die Mitarbeitende erwirtschaften, am 29.2.2024 spenden
Almut Schnerring und Sascha Verlan riefen 2016 die Initiative mit dem gleichnamigen Aktionstag Equal Care Day ins Leben. Außerdem setzen sie sich mit dem Verein klische*esc e. für die Wahlfreiheit jenseits limitierender Rollenklischees ein.
Über die Autorin:
Sibylle Dorndorf schreibt seit fast 30 Jahren über die Spielwarenbranche, zuletzt war die Journalistin Chefredakteurin der TOYS-Magazinfamilie im Göller Verlag, Baden-Baden. Ihre Passion: Unternehmen, die sich neu erfinden, Marken, die sich glaubwürdig positionieren, Menschen, die etwas zu sagen haben und Produkte mit Zukunft.