Von Peter Neugebauer

Erfolgreiche Spiele sind häufig Klassiker oder Titel, die die Auszeichnung Spiel des Jahres gewonnen haben. Sie sind beliebt bei den spielbegeisterten Menschen. Dieses Momentum nutzen die Verlage gerne, um ihnen eine Palette neuer Ideen rund um diese Spiele anzubieten. Zum einen bauen sie Spielefamilien um das Basisspiel auf, indem sie Junior-Versionen, Kartenspiele oder eine thematische Verlagerung entwickeln. Diese Spiele stehen für sich. Zum anderen bringen sie Ergänzungssets heraus, die eine Grundidee erweitern, verfeinern, manchmal auch anspruchsvoller gestalten. Hierfür wird das Basisspiel benötigt, das ergänzt wird. In allen Fällen kann die Kundschaft auf bekannte, bewährte Mechanismen zugreifen. Das ist viel wert.

Klassiker – Stand alone

Keine Gnade. UNO Show `Em No Mercy von Mattel treibt das klassische UNO auf die Spitze. Natürlich müssen traditionell Farben, Zahlen und Symbole auf einem Ablagestapel bedient werden, um auf diese Weise die eigene Kartenhand gänzlich leer zu spielen. Aber knallharte Sonderkarten mischen das Geschehen auf. Die Verpflichtung, Handkarten nachzuziehen, wird auf die Spitze getrieben. Es müssen u.U. gar vier, sechs oder zehn neue Karten genommen werden. Das kann ins Groteske anwachsen. Hat jemand 25 Karten auf der Hand, scheidet er aus. Der Spielablauf ist zunächst sehr vertraut, bekommt aber einen Twist, der schwer verdaulich sein kann. Das Spiel selbst zeigt keine Gnade.

Hinauskegeln. Monopoly Knockout von Hasbro schlägt eine nie dagewesene Volte in der langen Geschichte von Monopoly-Derivaten. Früher wurde der Klassiker durch Länder- und Städte-Ausgaben sowie in Verknüpfung mit allerlei Lizenzen immer wieder vermarktet. In jüngerer Vergangenheit gesellen sich neue Mechanismen zu den bekannten Vorgaben. Bei der neuesten Idee wird Curling mit dem Wirtschaftsgeschehen kombiniert. Auf einem länglichen Plan werden gleitende Spielfiguren in die Zielfelder geschubst. So versucht jeder Schlossallee und Parkstraße zu erreichen und das Gefängnisfeld zu vermeiden. Wie beim Vorbild dürfen andere aus lukrativen Feldern weggeschubst werden. Gerangel wird also auch hier großgeschrieben. Aber ist das noch Monopoly?

Verschwörung aufdecken. Cluedo Conspiracy von Hasbro entwickelt das klassische Detektivspiel auf ein neues Level. Der Mord ist noch nicht geschehen. Es ist nun die Aufgabe der Gruppe von wohlgesinnten Freunden herauszufinden, wer wo und wie Böses plant, bevor das Attentat passiert. Dummerweise ist die gegnerische Gruppe nicht klein. Ein Drahtzieher verheimlicht und vertuscht mit seinen Komplizen eigenes Vorhaben. Noch dazu werden Fallen ausgelegt. Die Identität eines jeden Mitspielers wird geheim zugelost. In Aktionsrunden wird intensiv kommuniziert, gemutmaßt und verdächtigt. Beide Gruppen haben unterschiedliche Ziele. Das Spiel ist auf fünf bis zehn Spieler ausgelegt, die offen für das interaktive Geschehen sein müssen. Wer lügt, ist die Leitfrage.

Moderne Klassiker – Stand alone

Zeitgemäßes Catan. Das Spiel Die Siedler von Catan, Spiel des Jahres 1995, hat vor 30 Jahren die Spielewelt verändert. Zu dieser grandiosen Idee sind vielfältige Erweiterungen und neue Spiele dazu gekommen, häufig mit geschichtsträchtigen Themen. Jetzt ist Catan im Hier und Jetzt angelangt. Catan Energien von Kosmos bespielt ein Szenario, in dem die Dörfer zu Forschungsstätten angewachsen sind. Dadurch steigt Energiebedarf. Es besteht die Wahl zwischen Investition in fossile Brennstoffe oder erneuerbare Energien, die teurer sind. Bei fossiler Power wächst die Umweltbelastung, die das Spiel zum Kippen bringen kann. Das Spielgefühl ist sehr catan-ähnlich, hält aber Neuerungen bereit und informiert über das Wechselspiel, das unseren Klimawandel bedingt. Wirklich sehr modern.

Mutig in die Ferne segeln. Everdell ist ein erfolgreiches Spiel mit mehreren Erweiterungen in einer beschaulichen Waldwelt, in der liebliche Tiere ihren Alltag fristen und die eigene Dorfgemeinschaft kultivieren. Farshore von Pegasus ist eine Ansiedlung an der nördlichen Küste dieser Dorfgemeinschaften.  Es geht rauer zu. Zum einen gilt es, mit den Gezeiten zu leben und die spärlichen Ressourcen, die das Meer bietet, zu nutzen. Zum anderen wollen Küstenbewohner auch hinaus aufs Meer, Inseln erkunden. Dort locken Schätze, die jeder gerne gewinnen will. Dieses eigenständige Spiel erinnert an das elegante Basisspiel. Der Mechanismus mit dem raffinierten Kartenmanagement wird dem Seefahrer-Plot angepasst. Der Ablauf ist nötig neu, um von einem eigenständigen Spiel zu sprechen.

Bader auf dem mittelalterlichen Marktplatz. Die Quacksalber von Quedlinburg wurde 2018 Kennerspiel des Jahres. Nach zwei Erweiterungen ist aktuell Quacksalber: Das Duell wieder bei Schmidt erschienen. Es ist eine eigenständige 2-Personen-Variante. Die beiden Spieler agieren marktschreierisch auf dem Dorfplatz und werben um Patienten, um deren Wehwehchen zu heilen. Dabei kommt es wie beim Grundspiel auf eine gute Bestückung des eigenen Säckchens mit den unterschiedlichsten Ingredienzen an. Diese müssen mit Risiko und Weitblick gezogen und in den eigenen Erlenmeyerkolben gelegt werden. Jeder Patient am Bader-Stand erbringt Ansehen im Gildehaus der Quacksalber. Diese Version ist so elegant wie das Basisspiel.

Auf in die Drachenhöhle. Flügelschlag wurde in 2019 mit dem Kennerspiel des Jahres ausgezeichnet. Ging es doch um die Ansiedlung von Vögeln in ihren Biotopen und einer geschickten Konstellation aller Tiere zueinander. Mit gleich zwei großen Erweiterungen kam Vielfalt ins Geschehen. In Schwingenschlag von Feuerland wird die Linie der Flügelschlag-Spiele ausgebaut. Jetzt wechselt das Genre. Es sind Drachen, die in Höhlen gelockt und dort gezähmt und kultiviert werden wollen. Das neue Spiel entwickelt die Grundidee weiter. Der einfache Rhythmus, dass nur drei Zugalternativen zur Verfügung stehen, bleibt erhalten. Allerdings sind die Beziehungen aller Komponenten zueinander recht komplex. Durch den Wegfall von Zufallselementen wird die Drachenzähmung taktischer.

Ergänzungen – nur mit Basisspiel

Ein Besuch im Zoo. Arche Nova, zum Kennerspiel des Jahres 2022 empfohlen, ist ein komplexes Spiel um den Aufbau eines Zoologischen Gartens. Ganz modern ist es nicht nur Aufgabe, Tiere zu fangen, sie in Käfige zu sperren und einem Publikum zur Schau zu stellen. Das Spieldesign hat größten Wert auf artgerechte Tierhaltung, Vernetzung von Zoos weltweit und deren wissenschaftlichen Austausch gelegt. All diese Komponenten mündeten in einer hohen Komplexität, die allerdings größtes Spielvergnügen generierte. Da darf es nicht überraschen, wenn mit Arche Nova: Wasserwelten von Feuerland die logische Weiterentwicklung erarbeitet wurde. Neue Meerestiere und Aquarien komplettieren das Szenario. Weitere Aktionskarten sorgen für eine leichte Asymmetrie.

Weltwunder errichten. 7 Wonders war schon 2011 Kennerspiel des Jahres. Es gab etliche Erweiterungen und vor drei Jahren die familientaugliche Variante 7 Wonders Architects. Auch dieses Spiel verdient sich aktuell die Erweiterung 7 Wonders: Architects - Medals von Repos, Vertrieb Asmodee. Gab es im Basisspiel die sieben bekannten Weltwunder der Antike, kommen das Kolosseum aus Rom und die Zikkurat aus Ur dazu. Sie haben ihre eigenen Effekte. Wichtiger aber sind die Medaillen, die Schnelligkeit belohnen und andere Strategien abverlangen. Das schöne Spielgefühl, dass stets Zugriff auf zwei Stapel besteht, und der schnelle, schlanke Verlauf bleiben erhalten.

Der Wald lebt. Mischwald wurde in diesem Jahr von einer Jury zum Kennerspiel des Jahres empfohlen. Schon bald gab es ein kleines Schächtelchen mit ergänzenden Karten: Mischwald: Alpin von Lookout Spiele, Vertrieb durch Asmodee. Jetzt tummeln sich auch Steinbock und Murmeltier im heimischen Ökosystem und mit der Lärche ist eine weitere Baumart hinzugekommen. Die neuen Karten lassen sich ohne weiteres in den Rhythmus der Forstwirtschaft integrieren und bringen noch mehr Vielfalt ins Geschehen. Das Sammel-Spiel ist wegen des geschickten Anlegens von Tier- und Pflanzenkarten an ausliegende Bäume und deren Beziehungen zueinander zurecht hoch gelobt worden. Die gesteigerte Vielfalt der Ergänzung ist lobenswert.

Stern der Dreisamkeit. In Triqueta ist es Aufgabe, Tiersteine in eine gemeinsame Auslage zu legen und dann, zum richtigen Zeitpunkt, Tierreihen für die eigene Sammlung zu nehmen. Dabei gilt es, darauf zu achten, immer möglichst exakt drei Tiere einer Art zusammenzuführen. Das ist eine punktstarke Triqueta. Bei nur einem Tier mehr ergibt das Minuszähler. Das ist recht spannend und wird nun noch getoppt. In der Erweiterung Triqueta: Hidden Wolves von Deep Print Games, Vertrieb Pegasus, mischen Schattenwölfe mit. Diese versprechen bei einem Trio die höchste Punktzahl. Das Spiel mit den verborgenen Tieren birgt die Gefahr, dass eine andere Triqueta aufgebrochen wird. Wohl und Wehe liegen eng beieinander. 

Über den Autor

Peter Neugebauer ist ein „Spielkind“ durch und durch. In früher Kindheit wurde er durch seine Eltern ans Brettspiel herangeführt. Spiele als Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenk waren obligatorisch und stets gern gesehen. Er hörte auch während des Studiums oder während seiner Berufsjahre nicht auf zu spielen. Schon früh rezensierte er Neuheiten, zunächst in reinen Fachzeitschriften, dann auch in Tageszeitungen und seit fast 40 Jahren in Branchenmagazinen. Ohne Spielen geht’s bei ihm nicht.