Mach doch was, was Spaß macht
… am besten Spielzeug!
Von Sibylle Dorndorf
Früher war alles besser. Zumindest am Nordpol. Dort fertigten Elfen und Kobolde in der heilen, weil ganzjährigen Weihnachtswunderwelt allerliebste Spielwaren, trieben Schabernack, tranken Kakao und naschten Kekse. Das ist lange her. Irgendwann wurden die Werkbänke der Spielwarenhersteller nach Fernost und in andere Billiglohnländer verlagert. Spielzeug, nach Preis gefertigt und verkauft, geriet zur Massen- und damit Wegwerfware. In düsteren Fabriken saßen keine Elfen und Kobolde, sondern mehr schlecht als recht bezahlte Wanderarbeiter, die froh waren, ihre Familien in weit entfernten Dörfern mit dem wenigen Geld, das sie verdienten, unterstützen zu können. Sie wurden in den Fabriken kaserniert, sahen ihre Kinder und Eltern monate- oder jahrelang nicht, aßen und schliefen in Baracken. In Reih und Glied und unter Arbeitsbedingungen, die in westlichen Industrieländern undenkbar wären, bemalten sie Puppenköpfe, nähten und stopften Plüschtiere, schraubten Räder an Spielzeugautos und montierten Light & Sound-Module an maßstabsgetreue Eisenbahnzüge. Auch das ist lange her.
Weil die Zeiten sich wandeln und bekannt wurde, dass die heile Elfenwunderwelt Risse bekommen hatte, wollten viele Menschen keine Spielwaren mehr kaufen, die an diesen Werkbänken und unter diesen Bedingungen gefertigt wurden. Auch die Unternehmen sehnten sich nach der Weihnachtswunderwelt zurück, denn Elfen und Kobolde stahlen keine Formen, kupferten keine Produkte ab und verwendeten keine unerlaubten Materialien für die Fertigung. Sie waren mit Keksen und Kakao zufrieden und wollten nicht immer mehr Geld für ihre Arbeit. Die Arbeitskräfte an den fernen Werkbänken waren nämlich aufgewacht. Sie stellten Forderungen und wenn diese nicht erfüllt wurden, wanderten sie einfach in die nahe gelegenen Chip-Fabriken, die zahlreich vorhanden waren und bessere Löhne boten. Die Situation wurde immer unbequemer für die Spielwarenhersteller. Rohstoffe wurden knapp und damit teuer, die Transportkosten stiegen ins schier Unermessliche – und dann kam noch eine Pandemie. Fabriken wurden geschlossen, nichts ging mehr. Und weil man Weihnachten nicht einfach verschieben konnte, saßen zahlreiche Kinder unter den Christbäumen und verdarben durch ihr Geschrei ihren Eltern und Großeltern das Fest. Und es begab sich zu dieser Zeit, dass auch in die letzten Winkel der Bevölkerung durchsickerte, dass es einen gewaltigen Missstand gab.
Willkommen in der Wirklichkeit
In der Wirklichkeit angekommen begannen die Unternehmen neue Produktionsstandorte zu suchen – und Fachkräfte, die Spielwaren fertigen konnten. Sie staunten. Weder das eine noch das andere war zu finden und die Zeit drängte, wollte man doch den Menschen nicht noch ein Weihnachten verderben. Einige vorausschauend denkende Unternehmer hatten ihre Produktionsstandorte gehalten und Fachkräfte ausgebildet. Die anderen begannen zu jammern und tun es noch.
Willkommen in der Wirklichkeit, in der Elfen und Kobolde relativ selten bis gar nicht vorkommen. Aber leider sind auch Spielzeughersteller eine aussterbende Spezies. Recherchen ergaben, dass derzeit genau zwei Unternehmen diesen Beruf ausbilden – und genau eine Schule einen dualen Ausbildungszweig anbietet.
Wie werde ich Spielzeugherstellerin oder -hersteller
Die Ausbildung zum Spielzeughersteller wird parallel im Ausbildungsbetrieb und in der Berufsschule durchgeführt. Der Berufsschulunterricht findet an der Staatlichen Berufsbildenden Schule Sonneberg, kurz SBBS, in Blockform statt. Eine komfortable Situation sowohl für die Unternehmen als auch die Auszubildenden. Dennoch sind ausbildende Unternehmen und Azubis Mangelware. Nach den Gründen für den fehlenden Zuspruch junger Menschen für diesen Ausbildungszweig befragt, moniert Heike Kemnitz, Lehrkraft an der SBBS, die verfehlte Zielansprache an die Adresse potenzieller Bewerber: „Meiner Meinung nach liegt es an der zu geringen Werbung der Unternehmen auf Social Media Plattformen, die Jugendliche heute nutzen. Der Beruf muss auf allen Ebenen attraktiver gemacht und das möglicherweise verstaubte Image aufgewertet werden.“
In der Tat: Wer will schon einen uncoolen Beruf ergreifen, der noch dazu zum Aussterben verurteilt ist? Dass sich die Rahmenbedingungen für Spielzeughersteller zum Positiven gewandelt haben, dass dies ein Beruf mit sehr guten Zukunftsaussichten und ebensolchen Verdienstmöglichkeiten ist, kommt bei den Schulabgängern gar nicht an. Das weiß auch Heike Kemnitz. Sie ist überzeugt: „Die Berufsaussichten der Spielzeughersteller werden sich deutlich verbessern, wenn wieder mehr Unternehmen in Deutschland oder den Nachbarländern produzieren. Damit erhöhen sich natürlich auch die Möglichkeiten für Einstellungen, so dass Jugendliche eine Chance sehen, viele Jahre in diesem sehr kreativen, abwechslungsreichen und anspruchsvollen Beruf zu arbeiten.“
Die Industrie ist gefragt
Der Ball liegt im Feld der Spielwarenindustrie. Bei der Kösener Spielzeug Manufaktur und beim Plüschhersteller Heunec in Neustadt bei Coburg, nimmt man ihn auf. Die „Experten für Kuscheltiere aller Art“ würden jungen Menschen gerne regelmäßig die Möglichkeit zu dieser dualen Ausbildung im Unternehmen und an der SBBS geben. Aber Auszubildende sind schwer zu finden. Warum, das ist Heunec-Geschäftsführerin Barbara Fehn-Dransfeld ein Rätsel. „Wir vermuten, dass es Unkenntnis ist. Wir selbst bilden seit 2018 aus, da uns bis dahin die Ausbildung ebenfalls nicht bekannt war – aber seither kontinuierlich. Junge Menschen für unsere schöne Branche zu sensibilisieren – und nicht nur im Bereich Marketing, Vertrieb und E-Commerce – macht großen Spaß. Nach Ausbildung und dreijähriger Berufserfahrung kann auch noch ein Studium aufgesetzt werden in Richtung Design oder Gestaltung. Es stehen alle Türen offen.“
Junge Menschen für unsere schöne Branche zu sensibilisieren – und nicht nur im Bereich Marketing, Vertrieb und E-Commerce – macht großen Spaß.
Barbara Fehn-Dransfeld
Ein toller Beruf: Indeed!
Auch die Jobbeschreibung von Indeed, einer der größten, weltweit agierenden Jobbörsen, geht in diese Richtung: „Wenn Sie eine kreative Ader haben, sich gern handwerklich betätigen, aber auch vor der Benutzung technischer Maschinen nicht zurückschrecken, ist eine Ausbildung als Spielzeugherstellerin oder -hersteller genau das Richtige für Sie. In diesem Beruf fertigen Sie selbst Spielzeug aus Holz, Stoff oder Metall. Genießen Sie es, wie Sie nach getaner Arbeit Ihre Kreation in den Händen halten können – und damit Kinderaugen zum Strahlen bringen.“
Indeed erläutert auch die Möglichkeiten der Weiterbildung, beispielsweise zum Produktdesigner oder staatlich geprüften Gestalter, stimmt aber auch auf die Realität ein: „Bereiten Sie sich darauf vor, dass Sie aufgrund der knappen Ausbildungsplätze wahrscheinlich umziehen müssen. Im Gegenzug erhalten Sie eine einzigartige Ausbildung und spannende Karrieremöglichkeiten.“ Weil es sich im Übrigen um ein derart komplexes Berufsbild handele, könne sich auch die Entlohnung sehen lassen, deutet Indeed dezent an. Spielzeugherstellung wird im Vergleich zu anderen Ausbildungsberufen bereits in den Ausbildungsjahren gut entlohnt. Woran hakt es also?
Azubis verzweifelt gesucht
Möglicherweise daran, dass derzeit länderübergreifend nur die Staatliche Berufsbildende Schule Sonneberg, kurz SBBS, diese duale Ausbildung ermöglicht. Auf der Homepage der SBBS heißt es: Spielzeughersteller fertigen Spielzeug aller Art, zum Beispiel Puppen, Plüschtiere, Holzfahrzeuge, Bausteine oder Zubehör für Modelleisenbahnen. Dabei verarbeiten sie Materialien wie Textilien, Holz, Kunststoffe und Metalle. Es handelt sich hier um einen 3-jährigen anerkannten Ausbildungsberuf in der Spielzeugindustrie.
Das Schlusswort haben zwei, die mitten in der Ausbildung zur Spielzeugherstellerin sind. Tamara Voß und Denise Friedrich haben bei Heunec einen Ausbildungsplatz gefunden und beim Azubi-Video-Contest der IHK Oberfranken gleich einen Sonderpreis für diesen „exotischen“ Beruf (O-Ton IHK Bayreuth) abgeräumt. Anschauen lohnt sich!
Die Exoten kommen!
Die Einschätzung der IHK Bayreuth allerdings macht nachdenklich. Ausgerechnet in Oberfranken, einer Region an der Spielzeugstraße, wird ein Beruf, der dazu beitrug, dort ansässige Unternehmen wie die Zapf Creation AG, Haba, Nici, die Franz Schneider GmbH & Co. KG mit der bekannten Marke rolly toys, Heunec, die Teddy Hermann GmbH, um nur einige zu nennen, bekannt zu machen, mit diesem Etikett versehen. Es scheint in den Reihen der IHK große Wissenslücken zu geben, was die Geschichte der Spielzeugfertigung angeht. Tamara Voß und Denise Friedrich fühlen sich durch diese Formulierung nicht getroffen, sind eher amüsiert. Derlei Reaktionen kennen sie auch aus ihrem Freundeskreis. Unter Gleichaltrigen hat sich auch noch nicht herumgesprochen, welche Chancen sich für Spielzeughersteller gerade jetzt auftun. Tamara Voß: „Ich denke, das größte Problem ist, dass der Beruf in Vergessenheit geraten ist. Damals ging die Spielzeugproduktion nach Asien und die vielen Berufe in diesem Bereich sind überwiegend eingegangen. Dadurch wissen Leute, denen ich von meiner Ausbildung erzähle, nie wirklich, was eine Spielzeugherstellerin eigentlich macht, geschweige denn, dass es sie überhaupt noch gibt. Wenn ich jedoch aus meinem Alltag berichte, sind alle begeistert und viele beneiden mich sogar, weil ich so eine abwechslungsreiche Tätigkeit habe.“
Handwerk hat goldenen Boden
Tamara Voß hat schon als Kind gerne gebastelt und sich handwerklich kreativ betätigt. Aufmerksam wurde sie beim Tag der offenen Tür der SBBS. Spätestens da war klar, was sie werden möchte. Denise Friedrich geht es ähnlich: „Es gibt nur wenige Ausbildungsbetriebe in diesem Bereich und der Beruf ist ziemlich unbekannt. Viele Leute denken, dass Plüschtiere nur noch mit Maschinen hergestellt werden. Dass man Ideen haben, Entwürfe, Prototypen und Muster fertigen muss bevor ein Charakter in Serie geht, weiß kaum jemand. Und gerade das macht ja Spaß wie man in unserem Video sehen kann.“
In der Tat ist die „Geburtsstunde“ eines Prototyps für die angehenden Spielzeugherstellerinnen so etwas wie der göttliche Hauch. „Herausfordernd ist vor allem die Schnitterstellung für ein neues Plüschtier. Hier muss viel probiert werden, bis die Proportionen passen und auch der Gesichtsausdruck stimmt“, weiß Denise Friedrich. "Es ist sehr wichtig, dass man sich die Form dreidimensional vorstellen kann“, ergänzt sie.
Die beiden Azubis arbeiten gern mit dem weichen Material Plüsch, das allerdings seine Tücken hat, wenn es zu dick ist und zu flauschig. Tamara Voß greift auch gerne zum Werkstoff Holz. Eine sinnliche Erfahrung sei es, so ein Stück Natur zu bearbeiten. Und künftig werden sich noch weit mehr Möglichkeiten in Sachen Material für Spielzeughersteller auftun. In den Unternehmen wird verstärkt nach umweltverträglichen und ressourcenschonenden Alternativen zu herkömmlichen Werkstoffen gesucht. Kork, Bambus, Pappe, Zuckerrohr, biobasierte Kunststoffe, alle für eine Fertigung geeigneten Rezyklate – jetzt wird es erst richtig spannend in diesem in jeder Hinsicht kreativen Beruf.
Über die Autorin:
Sibylle Dorndorf schreibt seit fast 30 Jahren über die Spielwarenbranche, zuletzt war die Fachjournalistin Chefredakteurin der TOYS-Magazinfamilie im Göller Verlag, Baden-Baden. Ihre Passion: Unternehmen, die sich neu erfinden, Marken, die sich glaubwürdig positionieren, Menschen, die etwas zu sagen haben und Produkte mit Zukunft.